Bundesentwicklungsminister Gerd Müller fordert eine Selbstverpflichtung der Bekleidungsbranche für soziale und ökologische Mindeststandards. Er hat den Runden Tisch Textil eingerichtet. Daran nehmen unter anderem namhafte Firmen wie Adidas und Entwicklungsorganisationen teil. Doch die Differenzen unter ihnen sind groß.
„Gemeinsam wollen wir versuchen, die sozialen und ökologischen Bedingungen in den Lieferketten für Textilien zu verbessern.“ – auf dieses Ziel hätten sich Firmen, Nichtregierungsorganisationen und die Bundesregierung geeinigt, sagt Sandra Dusch Silva von der Christlichen Initiative Romero (CIR). Ende Mai war sie eine der Teilnehmerinnen beim ersten Workshop des Runden Tisches Textil, den Gerd Müller, Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, initiiert hat.
Konkrete Ergebnisse habe der Workshop allerdings nicht gebracht, so Dusch Silva. Die CIR gehört dem Trägerkreis der Kampagne für Saubere Kleidung an. Ein „Siegel für Unternehmen“ hält Dusch Silva für sinnvoll. Im Vordergrund müsse jedoch stehen, dass sich die Situation für die Beschäftigten in den globalen Produktionsketten für Textilien bessert. Stefan Wengler, Geschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels (AVE), und Teilnehmer der Runde, sagte: „Das Siegel stand nicht im Mittelpunkt der Diskussion.“
Neben dem AVE und der Kampagne für Saubere Kleidung nahmen nationale und internationale Akteure am Runden Tisch teil, unter anderem Unternehmen wie Adidas, C&A, Adler, KIK, H&M, Gewerkschaften wie IG Metall, Bürgerrechts- und Entwicklungsorganisationen wie Oxfam, außerdem die Stiftung Warentest, der TÜV und mehrere Verbände.
Hintergrund für das Treffen war Müllers Initiative, die er zum Jahrestag des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Dhaka in Bangladesch ankündigte. Im April 2013 waren über 1.100 Beschäftigte ums Leben gekommen, die auch Bekleidung gefertigt hatten, die in Deutschland verkauft wurde.
Müller will im Zweifel ein Gesetz
Der Minister will eine Selbstverpflichtung der Branche durchsetzen, damit soziale und ökologische Mindeststandards von der Produktion bis zum Verkauf eingehalten werden. „Wenn das nicht auf freiwilliger Basis funktioniert, werden wir einen gesetzlichen Rahmen vorgeben“, sagte Müller. Er fügte hinzu, dass sein Ministerium ein Textilsiegel vorbereite, das für nachhaltig produzierte Kleidung stehen und noch in diesem Jahr eingeführt werden soll. Er hoffe auf Unterstützung der französischen und der niederländischen Regierung.
Was genau beabsichtigt und realistisch ist, muss sich aber wohl noch herausstellen. So heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), dass das Haus „die Organisation Fairtrade International (FLO) bei der Entwicklung eines Fairtrade-Textilsiegels für die Zertifizierung der gesamten Lieferkette vom Baumwollfeld bis zum Bügel unterstützen“ wolle.
Mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beabsichtigt man unter anderem, an der Durchsetzung existenzsichernder Löhne zu arbeiten. Und am Runden Tisch Textil will das BMZ über „mehr Transparenz in der textilen Wertschöpfungskette beraten“.
Zwischen den Teilnehmern des Runden Tisches und des Workshops herrschen zum Teil große inhaltliche Differenzen. AVE-Geschäftsführer Wengler bestätigt, dass sie konstruktiv an dem Prozess des BMZ mitarbeiten. „Allerdings sind wir sehr skeptisch, ob ein weiteres Siegel sinnvoll ist. Die vielfältigen Stufen der Produktionskette lassen sich unmöglich so kontrollieren, dass ein umfassendes Siegel glaubwürdig wäre. Das gilt auch für existenzsichernde Löhne.“
Industrie hält neues Siegel für wenig sinnvoll
Den Firmen, die in der Außenhandelsvereinigung zusammengeschlossen sind, macht unter anderem Sorgen, dass sie Dutzende oder gar Hunderte Zulieferer in zahlreichen Ländern auf die Einhaltung von Siegel-Regeln einschwören müssten. Die Markenunternehmen wissen teils selbst nicht, woher die Vorprodukte ihrer Textilien stammen. „Die kontinuierliche Weiterentwicklung des BSCI-Standards erscheint der AVE aussichtsreicher“, sagt Wengler deshalb. Die Business Social Compliance Initiative (BSCI) erlaubt Firmen, die Kontrollen Schritt für Schritt einzuführen.
CIR-Mitarbeiter Maik Pflaum erklärte dagegen: „Ein Siegel, das nur für einzelne Produkte vergeben werden kann, lehnen wir ab. Das Zertifikat muss für alle Textilien eines Unternehmens gelten.“ Damit wollen die Kritiker erreichen, dass die Unternehmen nicht einzelne Vorzeigeprodukte kreieren und sich damit ungerechtfertigter Weise insgesamt in ein gutes Licht rücken.
Nach Pflaums Ansicht seien zentrale Kriterien für ein sinnvolles Siegel hohe Standards wie beispielsweise existenzsichernde Löhne. Außerdem müssten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen gleichberechtigt daran mitwirken können, die Einhaltung der Standards bei den Unternehmen zu überprüfen. Die Einkaufspraxis der Unternehmen müsse einbezogen werden. „Wenn die Konzerne die Arbeitnehmerrechte stärken wollen, dürfen sie nicht ständig die Preise drücken und Lieferfristen verkürzen“, so Pflaum.
Diese Positionen gehen wesentlich über den BSCI-Standard hinaus, der keine verpflichtende Festlegung auf existenzsichernde Löhne vorsieht, die in der Regel weit über der heute üblichen Bezahlung liegen.
Rossitza Krueger von Fairtrade International sagte: „Wir begrüßen sehr, dass sich die Bundesregierung für dieses Thema engagiert. Damit nimmt sie eine internationale Vorreiterrolle ein. Fairtrade International bereitet selbst die Einführung eines Siegels für die Produktionskette vor, bei dem existenzsichernde Löhne ein Hauptkriterium sein werden. Diese sollten auch ein Bestandteil des Textilsiegels darstellen, das das BMZ vorbereitet.“
Weiterführende Informationen
Informationen des Bundesàentàwicklungsàministeriums BMZ zum Textilsiegel
Interview mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zum Textilsiegel, Welt am Sonntag
BMZ zu Standards in der Textilbranche
Business Social Compliance Initiative