In einem gemeinsamen Brief an Umweltminister Peter Altmaier setzen sich die großen deutschen Umweltverbände für ein absolutes Ziel zur Senkung des Ressourcenverbrauchs in der Europäischen Union ein. Konsequent wäre eine Reduktion um die Hälfte bis 2050 gegenüber dem Basisjahr 2000, heißt es in dem Schreiben. Damit lehnen die Umweltverbände den bisherigen Leitindikator Rohstoffproduktivität ab, der den relativen Verbrauch in Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt misst. Im neuen Leitindikator sollen außerdem verbrauchte Ressourcen aus der globalen Wertschöpfungskette berücksichtigt werden.
Hintergrund für die Debatte um den neuen Ressourcenindikator ist die derzeit laufende Weiterentwicklung der Europa-2020-Ziele. Bei „Europa 2020“ handelt es sich um die zentrale Wachstumsstrategie der EU, die 2010 als Nachfolgeprogramm der Lissabonstrategie verabschiedet wurde. Sie beinhaltet beispielsweise das Klimaschutzziel, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu verringern.
Als sogenannte Flagschiff-Initiative innerhalb von Europa 2020 hat die Kommission 2011 den Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa veröffentlicht. Darin drückt die Kommission ihre Absicht aus, neben einem Klimaschutzziel auch Vorgaben für den Schutz von Land, Wasser, Luft, Biodiversität und natürlichen Ressourcen einzuführen. Im Gegensatz zum COââ??â??-Ausstoß lässt sich der Ressourcenverbrauch allerdings deutlich schwerer messen. Umstritten ist auch, was genau gezählt wird. Bevor politische Ziele verabschiedet werden können, müssen zunächst geeignete Indikatoren entwickelt werden.
Die Kommission schlug im Ressourcenfahrplan zunächst die Rohstoffproduktivität als Leitindikator vor. Die Rohstoffproduktivität drückt aus, wie viele Einheiten des Bruttoinlandsproduktes pro eingesetzter Tonne Rohstoffe erwirtschaftet werden. Daran gemessen hat die EU seit dem Jahr 2000 Fortschritte gemacht: Pro Tonne an verbrauchten Erzen, Mineralien, fossilen Energieträgern und Biomasse wurden in der EU 2011 rund 20 Prozent mehr erwirtschaftet als im Jahr 2000. Dieser relative Indikator hat jedoch einen Nachteil. „Selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt, kann der Verbrauch absolut steigen“, sagt Benjamin Bongardt vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
EU-Kommission will neue Indikatoren für Ressourcen
Gemeinsam mit dem WWF, dem BUND, dem Deutschen Naturschutzring und weiteren Organisationen fordert der Nabu deshalb in dem Brief an den Umweltminister, „sich konsequent für verbindliche, absolute Reduktionsziele in der erforderlichen Höhe einzusetzen“. Altmaier ist Mitglied der Europäischen Ressourceneffizienz-Plattform (Erep), die den Leitindikator im Auftrag der EU weiterentwickelt. Die Kommission will neue Ressourcen-Indikatoren noch in diesem Jahr vorlegen.
Die Umweltverbände fordern außerdem, den Ressourcenverbrauch umfassender zu messen als bisher. Die Statistikbehörde Eurostat orientiert sich bisher am Wert Domestic Material Consumption (DMC). Dabei werden die innerhalb der Staatengemeinschaft entnommenen Rohstoffe und importierten Güter zusammengerechnet und davon die exportierten Rohstoffe und Güter abgezogen.
Schon im Fahrplan von 2011 hieß es dazu aber kritisch, dass der DMC „die mögliche Verlagerung der Belastung in andere Länder“ nicht berücksichtige. Wird beispielsweise ein Auto von Japan in die EU exportiert, fließt nur das Gewicht des Autos in den DMC ein. Die im Ausland entnommen Rohstoffe, wie zum Beispiel Erze für die Stahlherstellung, werden nicht mitgezählt.
Durchschnittlich ist der Rohstoffverbrauch drei Mal so hoch wie die Masse der weltweit gehandelten Güter, sagt der Wissenschaftler Thomas Wiedmann von der University of New South Wales. In einer Studie hat er nachgewiesen, dass rund 29 von insgesamt 70 Milliarden Tonnen an weltweit entnommenen Rohstoffen für den direkten Export oder die Produktion von Exportgütern verbraucht wurden.
Davon haben wiederum nur zehn Milliarden Tonnen die Grenzen ihres Ursprungslandes überquert und flossen in den DMC der Importländer ein. Neue Indikatoren würden deshalb den Ressourcenverbrauch global anders zuordnen, sagt Wiedmann. Derzeit würden die Rohstoffbilanzen beispielsweise zuungunsten Chinas verzerrt, weil dort viele Exportgüter für Industriestaaten produziert werden, sagt Michael Reckordt von der Nicht-Regierungsorganisation PowerShift.
Auswirkungen auf Deutschland
Der Indikator, der Rohstoffe nicht den Produktions-, sondern den Importländern zuordnen würde, ist Raw Material Consumption (RMC). In ihrem Brief fordern die Umweltverbände, anstatt DMC den RMC-Indikator als neuen Leitindikator einzuführen. Mittelfristig solle zusätzlich auch die sogenannte ungenutzte Entnahme berücksichtigt werden. Bei diesem TMC (Total Material Consumption) wird beispielsweise auch Erdreich mitgezählt, das beim Braunkohletagebau abgebaggert wird. „Der TMC würde besser darstellen, wie groß der Eingriff in die Biodiversität ist“, sagt Bongardt.
Die Diskussion um neue Rohstoffindikatoren könnte mittelfristig auch Auswirkungen auf die nationale Nachhaltigkeitsstrategie haben. Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die Rohstoffproduktivität bis 2020 gegenüber 1994 zu verdoppeln. Für den Nabu greift dieses relative Ziel nicht weit genug. „Wir würden ein zusätzliches RMC-Ziel in der Nachhaltigkeitsstrategie definitiv begrüßen, etwa über das Stichjahr 2020 hinaus“, sagt Bongardt.
Für den absoluten Rohstoffverbrauch – beschrieben durch den RMC – gibt es in Deutschland noch kein politisches Ziel. Im vierjährlich erscheinenden Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie werden aber zumindest die Rohstoffentnahme und Importe einschließlich der indirekten Importe ausgewiesen. Sie sind nach der Erhebung des Statistischen Bundesamtes von 1994 bis 2009 um 17,3 Prozent gesunken. Die Rohstoffproduktivität ist dagegen um mehr als 45 Prozent gestiegen, weil zeitgleich auch das Bruttoinlandsprodukt zugenommen hat.
Weiterführende Informationen
Eurostat-Tabelle zur Rohstoffproduktivität in der EU
Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa
Erep – Europäische Ressourceneffizienz-Plattform
Studie The material footprint of nations [PDF, 3,3 MB]
Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie [PDF, 5 MB]