Ihm geht es um den Gegenentwurf zu Fast-Fashion, zur schnellen Mode, zum Wegwerfprodukt Stoff: Bodo Bölzle, Chef des Garnherstellers Amann & Söhne mit Sitz im baden-württembergischen Bönnigheim, ruft die Textilindustrie auf, sich auf die Zukunft vorzubereiten, umzusteuern. Selten geht einer mit der eigenen Branche so hart ins Gericht wie er.
Die Produktion sei „immer noch relativ archaisch“, der Energieverbrauch „enorm“, sagt Bölzle. Hinzu kämen Chemikalien und Wasser beim Färben sowie die Abwässer. Und dann landeten die Textilien vielleicht schon nach drei Monaten wieder im Müll. Rund um den Globus entstünden so pro Jahr 92 Millionen Tonnen Textilabfall. Davon werde nur wenig recycelt. Die Masse lande in der Müllverbrennung oder auf der Deponie. Mit einer wachsenden Weltbevölkerung, die nicht „nackt rumlaufen wird“, werde sich das Problem noch verschärfen. Bölzle schlussfolgert: „Wir werden so nicht weitermachen können.“
Nachzuhören ist das alles im Podcast „Textil für Morgen“. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) hat ihn über den Ideenwettbewerb „Modekultur, Textilien und Nachhaltigkeit“ des Fonds Nachhaltigkeitskultur gefördert. Genauer: das Projekt, in dem er entstanden ist und mit dem Maßstäbe gesetzt werden sollen, wie Unternehmen sich gemeinsam um ihre Zukunftsfähigkeit kümmern und dafür strategische Kooperationen bilden können.
Initiiert hat das Projekt der Verband Südwesttextil. Zu ihm gehören namhafte Firmen, wie die Modefirma Hugo Boss, der Teddybärenhersteller Steiff und Paul Hartmann, ein großer Hersteller von medizinischen Textilien wie Verbänden und Pflastern. Insgesamt sind es 220 Unternehmen der baden-württembergischen Textil- und Bekleidungsindustrie, sieben Milliarden Euro Umsatz, 24.000 Beschäftigte.
Bölzle ist der Präsident des Verbandes. Die Firma, die er leitet, ist 2019 bereits dem UN Global Compact beigetreten, ein Bündnis der Vereinten Nationen mit Unternehmen, die sich den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen verpflichten. Amann & Söhne hat nach eigenen Angaben zum Beispiel innerhalb von vier Jahren, von 2015 bis 2019, den Wasserverbrauch um 29 Prozent je produziertem Kilo Garn gemindert. Die Firma setzt dafür Technologien wie die Umkehrosmose ein, sodass sie Abwasser wiederverwenden kann.
Eine Roadmap für die Industrie
Den Podcast „Textil für Morgen“ hat Rebekka Rüth entwickelt. Sie ist bei Südwesttextil für Nachhaltigkeit zuständig. Die Idee, diese ausführlichen Gespräche zur Zukunft der Textilindustrie zu führen und ins Internet zu stellen, kam ihr, als die Coronapandemie einen Strich durch die ursprüngliche Projektplanung machte. Aus mehreren geplanten Konferenzen wurde nur eine Präsenzveranstaltung, eine andere wurde ins Digitale verlegt – wie so oft in den vergangenen Monaten. Das Ziel des Projektes „Textil für Morgen – nachhaltig vernetzt in Baden-Württemberg“ aber habe sich nicht verändert, sagt Rüth: „Wir wollen aus der Industrie heraus eine eigene Roadmap für das kommende Jahrzehnt entwickeln.“
Das mag nicht immer ganz freiwillig sein. Verbandspräsident Bölzle erklärt: „Wir können uns jetzt nicht hinstellen und sagen: Schauen wir mal, das wird schon an uns vorbeigehen. Das wird es nicht – und ich denke, nur gemeinsam können wir am Schluss vorangehen.“ Immerhin hat die Branche historisch schon einmal einen großen Strukturwandel durchgemacht.
In Baden-Württemberg wurde die Branche einst groß, weil die kargen Böden der Schwäbischen Alb wenig Erträge hergeben, die Albhänge aber gute Weiden für Schafe waren. So begann alles mit Wolle. Viel später, als die Konkurrenz aus Niedrig-Lohn-Ländern in den 1980er Jahren zunahm, meldeten dann viele Betriebe Insolvenz an oder verlegten ihre Standorte ins Ausland.
Einladung zur Kooperation
Diejenigen, die heute in Baden-Württemberg produzieren, sind zum Teil hochspezialisiert. Das stelle sie, sagt Rüth, auch vor besondere Herausforderungen. Bestes Beispiel: das Recycling. In Baden-Württemberg werde zum Beispiel Arbeitsbekleidung mit Schnitt- oder Flammschutz hergestellt. Für solche Spezialfasern brauche es andere Techniken als für ein T-Shirt, wenn sie wiederverwendet und im Kreislauf geführt werden sollen. Daher ist ein Ergebnis des Projekts, neben mehr Öffentlichkeitsarbeit für eine bessere Wertschätzung von Textilien auch deren Recycling besonders in den Blick zu nehmen. Dabei sollen der Stand der Dinge und die technischen Möglichkeiten erfasst werden. Zudem setzt Südwesttextil ein Bildungsprojekt auf, das Firmen ermöglicht, ihre Mitarbeitenden für Nachhaltigkeitsfragen zu qualifizieren.
Schon jetzt hat Südwesttextil im Internet eine Plattform aufgebaut, damit sich Unternehmen bei Zukunftsfragen besser austauschen und zusammenarbeiten können. Jede und jeder ist eingeladen, sich dort zu beteiligen, sagt Rebekka Rüth: „In größeren Firmen arbeitet vielleicht ein ganzes Team an Nachhaltigkeitsfragen, in kleineren und mittleren Unternehmen ist es oft nur eine Person. Da hilft die Plattform.“ Im Jahr 2030, hofft sie, wird es dann mehr Textilien Made in Germany geben, die sich reparieren und recyceln lassen.