Wer den Schutz wichtiger Ökosysteme verlangt, steht oft im Konflikt mit wirtschaftlichen Interessen. Um diesen Zwiespalt aufzulösen, versuchen Wissenschaftler im Projekt „Naturkapital Deutschland“ den ökonomischen Nutzen von Umweltschutz zu berechnen. Jetzt ist ihre Studie „Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen“ erschienen. Doch die Idee hat auch Kritiker.
Seit 1992 gibt es Natura 2000, ein grenzüberschreitendes Netz aus Naturschutzgebieten, das mittlerweile 18 Prozent der Landfläche und vier Prozent der Meere der Europäischen Union ausmacht. Das bringt nicht nur Lebensraum für Kreuzottern, Nordluchse, Höhlensalamander oder Laufkäfer, sondern auch gewaltige Vorteile im Wert von 223 bis 314 Milliarden Euro pro Jahr, schreibt die EU-Kommission in Berufung auf eine Studie von 2013.
Das klingt nach viel Geld, einem Haushalt oder einer Bilanz zuordnen lässt es sich indes kaum. Der Wert setzt sich maßgeblich aus dem zusammen, was die Natur für die Allgemeinheit leistet, ohne eine Rechnung zu stellen: Die Natura 2000-Gebiete schützen vor Bodenerosion und Überschwemmung, speichern Klimagase, liefern Grundstoffe für die Medizin, reinigen Wasser und Luft, erhalten die biologische Vielfalt, bieten Menschen Entspannung und vieles mehr. Zusammengefasst werden diese Funktionen als Ökosystemleistungen bezeichnet.
Die monetäre Bewertung der Natura 2000 Schutzgebiete sind nur ein Beispiel aus der jetzt erschienen Studie: „Ökosystemleistungen in ländlichen Räumen“ aus der Reihe „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“. Gefördert durch das Bundesumweltministerium arbeiteten unter Federführung des Department Ökonomie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung 130 Autorinnen und Autoren an der Studie.
Natur retten durch Geldwerte?
„Wir wollen aufzeigen, dass es beim Naturschutz nicht nur um Arten und Lebensräume geht, sondern auch um einen handfesten ökonomischen Wert“, sagt Christoph Schröter-Schlaack, einer der wissenschaftlichen Koordinatoren der Studie. Natur auf Heller und Pfennig zu monetarisieren stößt auch auf Kritik – etwa, weil dem Konzept der Gedanke der Ausbeutung natürlicher Ressourcen inhärent ist. Eine gute Zusammenfassung der Einwände, auf die auch die EU-Kommission eingeht, findet sich hier.
Die Heinrich-Böll-Stiftung kritisiert in einem jüngst erschienen Buch das Konzept. Die Autorinnen und der Autor bemängeln, dass sich hinter objektiv erscheinenden ökonomischen Fakten und Zahlen eigentlich politische Fragen verbergen. „Wie viel Natur wir zerstören und wie wir sie nutzen wollen, sind Fragen, die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen brauchen“, sagt Lili Fuhr, eine der Autorinnen. Falsche politische Entscheidungen würden nicht aufgrund eines Mangels an Wissen und Daten über einen vermeintlichen Wert der Natur fallen, sondern aufgrund des massiven Einflusses bestimmter wirtschaftlicher Machtinteressen wie der industriellen Agrarlobby.
„Wir fühlen uns bei der Kritik missverstanden“, erwidert Schröter-Schlaack. „Die Studie ist als Diskussionsgrundlage gedacht, relevante Sektoren und Politikbereiche davon zu überzeugen, dass eine nachhaltige Wirtschaftsweise der gesamten Gesellschaft Vorteile bringt“, sagt er. Es gehe um eine Kosten-Nutzen-Analyse, um aufzuzeigen, dass Natur langfristig erhalten werden muss.
Zumal eine ökonomische Betrachtung nicht gleich bedeute, dass Natur den Marktkräften ausgesetzt wird: Gerade die Märkte bilden den Nutzen von Umwelt unzureichend ab, heißt es in der Studie. Saubere Luft oder sauberes Wasser sind öffentliche Güter, dafür Flächen bereit zu stellen hilft allen, es gibt aber kaum Marktanreize.
Das zeigt ein Beispiel, das sich relativ exakt monetarisieren lässt: Zwischen 1990 und 2010 sind in Deutschland 300.000 Hektar Grünfläche in Ackerflächen umgewandelt worden. Grünflächen, also etwa Wiesen und Weiden, sind „von herausragender Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt“, schreiben die Autoren der TEEB-Studie. Die Böden sind artenreich, speichern viel Wasser, verhindern Erosion, haben einen hohen Humusgehalt und schützen Gewässer vor Schadstoffen.
Werden sie zu Acker, erlösen Landwirte zwar 370 bis 600 Euro pro Hektar und Jahr. Gleichzeitig wird aber CO2 freigesetzt, das Grundwasser verschlechtert sich, die biologische Vielfalt sinkt. Zieht man diese Folgekosten ab, steht unterm Strich ein gesamtgesellschaftlicher Verlust von 440 bis 3.000 Euro pro Hektar Grünland, das in Acker umgewandelt wird.
Kulturelle Ökosystemleistungen
Das Beispiel zeigt auch, dass der Nutzen sich schwerlich betriebswirtschaftlich abbilden lässt: In der Rechnung wird berücksichtigt, dass beim Umbruch von Grünland CO2 freigesetzt wird. Nach einer Empfehlung des Umweltbundesamtes veranschlagen die Wissenschaftler für die Allgemeinheit dafür 80 Euro Folgekosten. Der Betrag lässt sich aber keinem konkreten, durch den Klimawandel verursachten Schaden zuweisen.
Noch schwieriger wird es bei der Erfassung von „kulturellen Ökosystemleistungen“. Darunter fällt, wenn das Gefühl von Heimat und Vertrautheit mit Naturerleben und typischen Pflanzen- und Tierarten verbunden wird, Natur schlicht ein ästhetischer, inspirierender Genuss ist, Erholung bietet oder Gegenstand von Bildung, Forschung und Erziehung ist. Einnahmen aus dem Tourismus lassen sich erheben, der Rest kaum. „Uns ist klar, dass wir nur einen Bruchteil des Wertes von Natur ökonomisch erfassen können. Das wollen wir auch kommunizieren“, sagt Schröter-Schlaack.
Der monetäre Ansatz soll vor allem Argumente liefern, wenn es um konkrete Politikinstrumente und mögliche Fehlsteuerungen geht: Die Studie nennt als Beispiele EEG-Subventionen für Energiemais, die zum Grünlandverlust beigetragen haben. Oder die Abschaffung der Milchquote in der EU, die zu einer immer intensiveren Massentierhaltung führt und klassische Weidehaltung unrentabel macht.
Kosten des Stickstoffs
Auch bei der Düngung zeigen sich die Probleme: In der EU werden im Jahr rund 28 Millionen Tonnen durch synthetische Dünger und Gülle ausgebracht. Das erhöht zwar den Wert von Agrarprodukten um 45-180 Milliarden Euro. Die Kosten dafür liegen allerdings bei 70 bis 320 Milliarden Euro: Stickstoff schädigt die menschliche Gesundheit, etwa durch Bildung von bodennahem Ozon, in Gewässern führt er zu Blaualgenblüten, was nicht nur Fischerei und Tourismus gefährdet, sondern auch ein Gesundheitsrisiko darstellt, die Trinkwasseraufbereitung wird komplizierter und teurer.
Eine naturnahe Landwirtschaft, die auf zu viel Dünger verzichtet, und damit dem Gewässerschutz zugutekommt, lässt sich also direkt in volkswirtschaftliche Vorteile umrechnen. In diesem Zusammenhang kritisieren die Autoren auch die EU-Agrarsubventionen, die zu 70 Prozent nach Größe der bewirtschafteten Flächen pauschal ausgezahlt werden – ohne Rücksicht auf die ökologischen und damit ökonomischen Kosten für die Allgemeinheit. Ab Beginn der nächsten Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU im Jahr 2020 sollten die Direktzahlungen nach Fläche auslaufen, fordern die Autoren.
„Wir wollen identifizieren, wo Entscheidungen das Naturkapital ignorieren – und eine Grundlage liefern, wie das geändert werden kann“, sagt Schröter-Schlaack. Ein Gedanke, der übrigens auch in Brüssel angekommen ist: Als Teil der Biodiversitätsstrategie sind alle Staaten bis 2020 aufgefordert, ihre Ökosysteme zu erfassen und ökonomisch zu bewerten – um Entwicklungstrends jenseits des Bruttoinlandsprodukts quantifizieren zu können.