Die Bundesregierung hat ihre Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorgestellt. Weitere Reformen sind angekündigt. Vier Mitglieder des Rates für Nachhaltige Entwicklung stellen hier ihre Thesen vor, was nun getan werden sollte: Olaf Tschimpke plädiert dafür, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Max Schön fordert eine steuerliche Energiewendeabschreibung. Alois Glück stellt fest, dass den Bürgern der Sinn des Projektes besser vermittelt werden muss. Und Lucia A. Reisch fordert Maßnahmen, um das Konsumverhalten zu ändern.
Lucia A. Reisch: Wir brauchen eine verhaltensbasierte Energienachfragepolitik
Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die privaten und öffentlichen Haushalte als wichtige wirtschaftliche Akteure einen Beitrag zur Energieeffizienzsteigerung leisten. Im kommenden Jahrzehnt müssen sie mindestens ein Drittel Energie einsparen, wenn die Energiewende ohne prohibitive gesellschaftliche Kosten und wirtschaftliche Krisen gelingen soll.
Ich schlage deshalb Maßnahmen für eine verhaltensbasierte Energienachfragepolitik vor. Sie muss auf der Mikroebene direkt die Entscheidungs- und Verhaltensweisen der Konsumenten beeinflussen. Auf der Mesoebene kann sie im unmittelbaren sozialen und physischen Umfeld der Individuen wirken. Zudem braucht es eine förderliche (technologisch, politisch, juristisch) Rahmung auf der Makroebene.
Für die Mikroebene muss man zunächst wissen, wie und aus welchen Motiven heraus Menschen Energie nachfragen, wie sie sie in ihrem Lebens- und Arbeitsraum nutzen und welche konkreten Handlungsbarrieren es für energieeffizienteres Verhalten gibt. Dabei zeigt die Forschung deutlich, dass eine Reihe sozialer, kognitiver und verhaltensbedingter Faktoren der eigentlich rational sinnvollen Entscheidung für kosten- und energieeffiziente Lösungen entgegenstehen.
Soziale Normen können wirksame Vehikel zur Förderung von Energieeffizienz darstellen, vor allem dann, wenn umweltfreundliches Verhalten sichtbar ist. In den USA und Großbritannien gibt es deshalb Experimente, bei denen Stromkunden Informationen über den Konsum ihrer sozialen Vergleichsgruppe, insbesondere der Nachbarschaft, bekommen und sich so sparsamer verhalten.
Konsumpsychologisch handelt es sich bei der Energienachfrage um ein so genanntes low salience Produkt. Konsumenten denken in der Regel wenig darüber nach, da es kaum sichtbar ist. Gerade bei solchen low salience Produkten müssen die Produktinformationen klar und einfach, die Signale deutlich und relevant sowie die Anreize für eine Verhaltensänderung stark, regelmäßig, zeitnah und zielgruppenspezifisch sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Das sind nur zwei Beispiele. Wie auch immer das Instrumentarium einer verhaltensbasierten Energienachfragepolitik aussieht, es sollte vorab auf seine Wirksamkeit und unbeabsichtigten Nebenwirkungen untersucht und ganz konkret mit Probanden empirisch getestet werden.
Lucia A. Reisch ist Professorin an der Copenhagen Business School und Gastprofessorin an der Zeppelin Universität Friedrichshafen
Alois Glück – Wer Zustimmung will, muss Sinn vermitteln
Das Grundproblem der Energiewende sind nicht einzelne Themen wie die EEG-Reform, sondern, dass das Leitthema verloren gegangen ist. Für alle anstrengenden Projekte gilt: Wer Zustimmung will, muss Sinn vermitteln!
In der Debatte über die Details ist das Leitmotiv verloren gegangen: Eine Stromversorgung aufzubauen, die dauerhaft umweltverträglich, sozial verträglich und ökonomisch sinnvoll ist. Die Energiewende ist nur als ein Gemeinschaftsprojekt der Bürger und der Politik realisierbar, aber es hat sich zunehmend die Haltung durchgesetzt, dass jeder das größte Kuchenstück und den größten Vorteil haben möchte.
Die Stromversorgung ist ein anspruchsvolles System, ein anspruchsvolles Netzwerk von Technik und Akteuren, jede Gruppe hängt aber an ihrem Detail.
Deshalb ist die dringlichste Aufgabe der Politik den Sinn, das Ziel und die notwendigen Schritte zu diesem Ziel wieder verständlich zu machen. Dann ist es auch möglich, notwendige und sinnvolle Einzelmaßnahmen zu gestalten.
Alois Glück ist Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Mitglied der Ethikkommission Sichere Energieversorgung
Max Schön – Die Energiewende vom Ende her denken
Die Energiewende kann nur dann ein Vorbild für andere Staaten werden, wenn sie mehr als nur eine Stromwende ist: Wärme und Mobilität gehören auch dazu – und Energieeffizienz spielt in allen Bereichen eine entscheidende Rolle. Die Energiewende muss die gesamte Art, wie wir Energie verwenden, ändern. Weil sich noch keine klare Vision durchgesetzt hat und stattdessen permanent Zweifel und Gegeninteressen das Projekt bedrängen, fehlt es der Energiewende international an Strahlkraft.
Viele schauen interessiert nach Deutschland, bleiben bisher aber noch skeptisch: Schafft eine Industrienation es, ihr gesamtes Energiesystem – von der Versorgung bis zur Verwendung – sicher, sauber, effizient zu gestalten? Und dabei wettbewerbsfähig zu bleiben? Gleichzeitig klingt es immer wieder: Wer sonst könnte das schaffen, wenn nicht Deutschland?!
Wir müssten eigentlich aus der Zukunft auf heute schließen: Im Jahr 2050 will Deutschland noch zehn Prozent des CO2 von heute ausstoßen. Was bedeutet das? Eigentlich darf dann nach 2020 kein Kraftwerk mehr ans Netz, das noch Treibhausgase emittiert, schließlich beträgt die Abschreibungszeit mindestens 30 Jahre. In der Heiztechnik müssten ab dem nächsten Jahrzehnt keine neuen Verbrennungsheizungen mehr eingebaut werden, denn 2050 müssten unsere Häuser CO2-frei sein.
Und in der Mobilität ist bislang viel zu wenig in Sachen CO2-Minderung geschehen: Wie können wir dort Ressourceneffizienz und Innovation vorantreiben, um klimafreundliche Verkehrsträger und Antriebstechnologie in Güter- und Personenverkehr schneller zu integrieren?
Erfolgsversprechend erscheint es mir für Deutschland zu sein, massiv in die Erhöhung von Energieeffizienz zu investieren: Keine Energie ist billiger, sauberer und sicherer als die, die gar nicht erst verbraucht wird.
Im Gebäudebereich zum Beispiel brauchen wir eine mindestens doppelt so hohe energetische Sanierungsrate wie bisher, um bis 2050 einen CO2-neutralen Wohnpark zu erreichen – ein ambitioniertes und machbares Ziel, welches Tausende grüner Arbeitsplätze schaffen würde. Denkbar wäre dazu die Einführung einer „Energiewendeabschreibung“: Zeitlich auf etwa fünf Jahre befristet, könnte eine steuerliche Abschreibungsmöglichkeit für energetische Gebäudesanierungen eingeführt werden.
Das gibt es bereit für denkmalgeschützte Häuser, warum nicht auch für die Energiewende? Der Staat hätte zwar zunächst weniger Ertragssteuern, allerdings kämen durch die Baumaßnahmen erhöhte Mehrwertsteuereinnahmen zustande. An Geld für die Sanierungswilligen mangelt es nicht: Baukredite sind so billig wie nie und es könnte ein Teil der rund 50 Milliarden Euro, die in privaten Bausparverträgen schlummern, aktiviert werden.
Auf jeden Fall müssten zusätzlich zur „Stromwende“ nach der EEG-Reform in aller nächster Zeit von der Bundesregierung noch große Würfe in Sachen Energiewende kommen und zwar in den Bereichen Energieeffizienz, Mobilität und Wärme. Der neuen Regierungskoalition steht dabei durch ihre starken Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat die große Chance offen, aus der Energiewende eine Erfolgsgeschichte zu machen und Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation erfolgreich miteinander zu verknüpfen. Nur Mut!
Max Schön ist Unternehmer, Vorstand der Stiftung 2à° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz, und Präsident der Deutschen Gesellschaft “The Club of Rome”
Olaf Tschimpke – Energiewende mit Naturschutz in Einklang bringen
Momentan haben wir keine echte Energiewende, sondern eine Stromwende. Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept, das beispielsweise den Strommarkt mit dem Wärmemarkt verknüpft, weil beides zusammen gedacht wesentlich effizienter funktionieren kann. Die Stromerzeugung aus Braunkohle muss zudem dringend zurückgedrängt werden.
Vor allem darf es beim Ausbau erneuerbarer Energien keinen Wettlauf um die meisten Anlagen geben, wenn es zu Konflikten mit dem Umwelt- und Naturschutz kommt. Das gilt auch für Stromtrassen. Im Koalitionsvertrag ist deshalb die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende vorgesehen, das muss nun schnellstmöglich eingerichtet werden.
Damit kann auch verhindert werden, dass wir die Landschaft übernutzen. Deutschland hat sich zum Ziel Gesetz, den Verbrauch an natürlicher Fläche auf 30 Hektar am Tag zu begrenzen, entsprechend muss die Energiewende gestaltet und gesteuert werden. Sie darf nicht auf Kosten von Biodiversität oder Naturwert gehen, etwa durch eine weitere Verbreitung von Mais-Monokulturen für Biogasanlagen.
Der Anreiz ist groß, gerade in dünn besiedelten Gebieten Windanlagen zu bauen, weil dort die Abstandsregeln zu Häusern problemlos eingehalten werden können. Deshalb müssen die Länder durch eine vernünftige Raum- und Regionalplanung Naturschutz mitdenken. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wäre das falsche Instrument dazu.
Das Thema kann auch nicht den Kommunen überlassen werden, sonst gibt es einen Flickteppich an Planungen. Nur mit einer sorgfältigen, zentralen Flächenplanung bekommen auch Investoren in erneuerbare Energien die nötige Planungssicherheit. Insgesamt gilt: Die Debatte, wie Energiewende und Natur in Einklang bleiben können, muss jetzt dringend geführt werden.
Olaf Tschimpke ist Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU)
Weiterführende Informationen
EEG-Reform der Bundesregierung [pdf, 3 MB]
Lucia Reisch, an der Copenhagen Business School
Alois Glück, Energiewende – Sackgasse oder wegweisender Fortschritt, Referat [pdf, 15,5 KB]
Pressemitteilung Nabu zur EEG-Reform