Läden und Lokale sind geschlossen, Fabriken in Kurzarbeit, Lieferketten unterbrochen. Die Corona-Krise trifft fast jede Branche, wenn auch einige härter als andere. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht davon aus, dass Deutschland der schlimmste Einbruch des Wirtschaftswachstums seit der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009 bevorsteht – und empfiehlt ein Konjunkturprogramm. Nur: Wie soll der Sanierungsplan aussehen?
Noch steigt die Zahl der Corona-Infizierten, doch längst nehmen auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politiker sowie Lobbyisten die Zeit nach der unmittelbaren Krise in den Blick. Der Grünen-Chef Robert Habeck fordert „ein großes Konjunkturprogramm“, das die Wirtschaft „robuster macht und nachhaltiger“. Die Umweltorganisationen Greenpeace spricht sich für einen „grünen Marshallplan“ aus, der BUND für einen „Green Deal für Deutschland“, der WWF für eine „Art Nachhaltigkeits-TÜV zur Prüfung aller anstehenden Konjunkturförderpakete“. Der Chef der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, will Wachstumspakete für „saubere“ Energie.
Und der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs erklärte „unter anderem unter Einbeziehung des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft“ sollten die nötigen Maßnahmen vorbereitet werden, „die erforderlich sind, um zu einem normalen Funktionieren unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften und zu nachhaltigem Wachstum zurückzukehren.“
Am CO2-Preis nicht rütteln
Für Patrick Graichen, Umweltökonom und Chef des Thinktanks Agora Energiewende, wäre alles andere auch „schlicht falsch.“ Flug-Steuererhöhungen zu verschieben, CO2-Preise auf Sprit, Heizöl und Erdgas auszusetzen, den Green Deal der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu streichen – das sei „nicht zukunftsfähig“. Das hatten manche Politiker zuletzt gefordert. Graichen erklärte: „Die Klimakrise ist ja nicht weg, die Physik der Erderwärmung bleibt, da müssen wir weiterhin gesellschaftspolitische Prioritäten setzen.“ Sein konkreter Rat: „Die großen Bausteine der Zukunft angehen, ihnen einen Investitionsschub geben“ – und mindestens Dreierlei fördern:
Erstens: Die Automobilindustrie umbauen, die Elektromobilität konsequent weiter fördern. Zweitens: Die energetische Gebäudemodernisierung voranbringen und die serielle Sanierung angehen. Das heißt Häuser, Reihenhäuser oder Wohnungsbauten etwa aus den Fünfzigerjahren, bekämen künftig eine komplett neue Hülle, sie ließen sich mit industriell vorgefertigten Fassaden und Dächern modernisieren. Das Konzept mit Namen ‚Energiesprong‘ kommt aus den Niederlanden, dort hat es die Wohnungswirtschaft zusammen mit der Bauindustrie und Kommunen entwickelt. Drittens: Den Einstieg in die grüne Wasserstoffindustrie schaffen. Mit Ökostrom produzierter Wasserstoff könnte für Flugzeuge als umweltfreundlicher Antriebsstoff dienen und für die Industrieproduktion in der Stahl- und Chemieindustrie genutzt werden.
Transformationsfonds einführen
Katharina Reuter, Geschäftsführerin von Unternehmensgrün, einem gewichtigen ökologisch orientierten Unternehmensverband, will den Ausbau der Schienen- und Netzinfrastruktur, das Streichen des Solardeckels, mehr Planungssicherheit für Windkraft an Land. Und sie fordert einen Transformationsfonds, der Investitionen in Klimaschutz ermöglicht.
Im Hintergrund werden längst Ideen zusammengetragen und neue entwickelt. Das Umweltbundesamt zum Beispiel hat dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat ein Konjunkturprogramm ins Spiel gebracht für die Zeit nach den milliardenschweren kurzfristigen Hilfen für Arbeitnehmende und Unternehmen. Er ließ aber offen, wie viel Geld dann für was genau zur Verfügung gestellt werden soll – und ob es an Bedingungen geknüpft wird, wie Reuter, Graichen und andere sie fordern.