Die Weltbank entwickelt neue soziale und ökologische Regeln für die Projekte, die Entwicklungsländer mit ihrer Hilfe finanzieren. Der erste Entwurf wird derzeit international diskutiert und von NGOs, Gewerkschaft und Umweltgruppen kritisiert. Jetzt reisten Vertreter der Weltbank nach Deutschland und stellten sich der Diskussion.
Knud Vöcking beobachtet für die Naturschutzorganisation Urgewald seit über einem Jahrzehnt die Politik der Weltbank – jener von 188 Staaten finanzierten internationalen Organisation, die derzeit rund 183 Milliarden Dollar an Entwicklungs- und Schwellenländer verliehen hat, etwa als zinsgünstige Kredite oder Zuschüsse. Ihr selbst gestecktes Ziel ist es, die weltweite Armut zu bekämpfen und die Entwicklung zu fördern.
Anfang November folgte Vöcking einer Einladung des Bundesentwicklungs-ministeriums (BMZ) nach Berlin. Das Ministerium hatte ihn und weitere Vertreter der Zivilgesellschaft eingeladen, um mit einem Team der Weltbank die neuen „Safeguard“-Regeln zu diskutieren, die die Organisation in diesem Juli als Entwurf vorgelegt hat. Das sind jene Richtlinien der Bank, die dafür sorgen sollen, dass die finanzierten Projekte auch ökologischen und sozialen Standards entsprechen.
„Die Menschen und die Umwelt stehen im Zentrum unserer Arbeit“, schreibt die Bank. „Wir überarbeiten unsere Grundsätze, um sie zu modernisieren, die existierenden Richtlinien zu stärken und eine Antwort auf aktuelle ökologische und soziale Herausforderungen zu geben“, heißt es weiter. Die Weltbank gliedert sich in fünf Gruppen, die Regeln gelten für Projekte der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) und für die Internationale Entwicklungsorganisation IDA.
“Weltbank erfindet das Rad neu”
Vöcking zieht ein gemischtes Fazit des zweitägigen Treffens. Keiner der 80 bis 100 Teilnehmer habe den Entwurf für gut befunden, teilweise habe es „präzise, deutliche Kritik“ gegeben. Vöcking sagt: „Wir haben international zahlreiche ökologische und soziale Normen. Statt diese einfach anzuwenden, erfindet die Bank das Rad neu. Immer, wenn es konkret wird, führt sie zahlreiche Ausnahmeklauseln ein“, sagt er.
Aus Regierungskreisen heißt es, man begrüße die Überarbeitung der Safeguards ausdrücklich. Positiv hervorzuheben sei dabei besonders der breit angelegte Konsultationsprozess. Ein zentrales Anliegen Deutschlands sei die „Einbeziehung neuer Themen und die Erweiterung bestehender Safeguards, um Lücken im Regelwerk der Weltbank zu schließen und negative Auswirkungen von Weltbank-finanzierten Vorhaben auf Menschen und Umwelt so weit möglich zu vermeiden.“ Von herausragender Bedeutung sei dabei die angemessene Berücksichtigung der Themenbereiche Menschenrechte, Landrechte sowie die Bekämpfung des Klimawandels in den überarbeiteten Regeln.
Der Entwurf der Bank definiert die Standards auf 103 Seiten in zehn Themengebieten. Dazu zählen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen, die für Weltbank-Projekte arbeiten, Ressourceneffizienz, Biodiversität, der Schutz von Rechten Indigener Völker, Schutz vor Umsiedlungen und vieles mehr.
Im Jahr 1984 veröffentlichte die Bank erstmals einen Standard, in dem sie beschrieb, wie sie mit den Umweltauswirkungen der von ihr finanzierten Projekte umgeht. Über 20 Jahre hinweg haben sich daraus intern acht verschiedene Regelkataloge entwickelt, die zusammengefasst, vereinfacht und modernisiert werden sollen.
Kritik an der Weltbank wegen einer einseitigen Fokussierung auf Wachstum und der Nebenwirkungen ihrer Entwicklungspolitik gibt es von Seiten der globalen Umweltbewegung seit Jahrzehnten. Die Bank hat darauf reagiert und vor der Erarbeitung des jetzigen Entwurfs seit Oktober 2012 weltweit Anhörungen organisiert. Zurzeit findet eine zweite Konsultationsphase in 37 Ländern statt, darunter auch das vom BMZ organisierte Treffen.
Besondere Kritik löst der Umgang mit indigenen Gruppen aus. Ein Problem ist laut Weltbank, dass es keine „universell akzeptierte Definition indigener Bevölkerungsgruppen“ gebe. Damit begründet die Weltbank die Möglichkeit, die Richtlinien zum Schutz indigener Gruppen auf Antrag der kreditnehmenden Länder auszusetzen.
Streit um indigene Gruppen
Vöcking kritisiert, dass es sehr wohl eine anerkannte Definition gebe: Die Selbstidentifikation des Einzelnen als Mitglieder einer eigenen indigenen Kultur. Viele NGOs fürchten, dass mit den Weltbank-Regeln die Rechte indigener Gruppen, die von Weltbank-Projekten betroffen sind, grundsätzlich ausgehebelt werden und verweisen auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker.
Die Weltbank verteidigt sich auf Anfrage: „Der vorgeschlagene Standard für Indigene stellt eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu den bisherigen Richtlinien dar.“ Der Standard gelte immer, außer im Falle außergewöhnlicher Umstände – falls es andernfalls zu ethnischen Spannungen kommen könnte oder die Regeln mit der Verfassung der kreditnehmenden Länder nicht vereinbar ist. Zudem müsste der 25-köpfige Board of Executive Directors der Aussetzung zustimmen.
Vöcking nennt als weitere Kritikpunkte einen mangelnden Schutz von Biodiversität. So sei es möglich, dass von der Weltbank finanzierte Projekte Lebensräume stark bedrohter Arten vernichten – weil eine Ausnahmeklausel sogenanntes Offsetting vorsieht. Das bedeutet, dass Urwald gerodet und einfach an anderer Stelle wieder aufgeforstet werden kann. „Wie sollen die letzten Habitate der vom Aussterben bedrohten Arten einfach durch neuen Wald an anderer Stelle ersetzt werden? Das ist schlicht nicht möglich“, kritisiert Vöcking.
Er listet eine ganze Reihe von Standards auf, die unter Vorbehalt stehen: So habe die Weltbank arbeitsrechtliche Standards erarbeitet, die hinter die allgemein anerkannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zurückfallen. Selbst dieser reduzierte Schutz gilt explizit nicht für Angestellte von Subunternehmen, die Staaten zur Umsetzung von Weltbankprojekten engagieren. Die Weltbank verweist darauf, dass sie im Austausch mit der ILO stehe. „Der Standard ist noch nicht fertig definiert“, schreibt die Bank.
“Beschwerdefunktion wird ausgehöhlt”
Auch Andrea Kämpf vom Deutschen Institut für Menschenrechte war auf der Tagung, die Juristin kritisiert „zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe“ in den neuen Richtlinien. Eines der größten Probleme ist für sie, dass dadurch die Arbeit der unabhängigen Beschwerdestelle der Weltbank, dem Inspection Panel, erschwert werde.
„Unbestimmte Rechtsbegriffe weichen die Verpflichtungen von Weltbank und den Kreditnehmern so auf, dass praktisch nicht mehr festgestellt werden kann, ab wann diese ihre Pflichten verletzt haben. Damit wird die Beschwerdefunktion ausgehöhlt“, sagt sie. Wer sich Geld von der Weltbank leiht, überwacht die Einhaltung der Regeln nun weitgehend selbst. „In anderen Worten, der Darlehensnehmer ist Richter, Geschworener und Henker zugleich – ein fragwürdiges Vorgehen“, schreibt Urgewald.
Kämpf kritisiert, dass mit den neuen Regeln die Prüfung von Projekten bereits vor Bewilligung von Krediten oder anderen Hilfen wesentlich oberflächlicher ausfallen kann als bisher. Stattdessen verlasse man sich stärker auf das Monitoring erst während der Umsetzung. Das klappe allerdings schon jetzt nicht richtig, wie die zahlreichen Beschwerden über negative Auswirkungen von Projekten zeigten. Zudem werde das Monitoring künftig noch schwächer ausfallen, weil die Bank Personal abbaut.
Vöcking verweist darauf, dass Deutschland als einer der größten Beitragszahler neben den USA, Japan, Frankreich und dem Vereinigten Königreich eines von fünf Ländern ist, das einen ständigen Vertreter in den entscheidenden Exekutivrat der Bank entsendet. „Wir hoffen, dass Deutschland diese Positionen beibehält und auch andere Europäer dahinter stehen“, sagt Vöcking. Zwischen April und Juni nächsten Jahres will die Weltbank einen überarbeiteten Entwurf der Safeguards vorlegen.
Weiterführende Informationen
Erster Entwurf der neuen Weltbank-Regeln [pdf, 2,2 MB]
Materialien, Kritik und Statements aus der Zivilgesellschaft
FAQ’s zu den Regeln der Bank [pdf, 261 KB]
Webseite der Weltbank über den Safeguard-Prozess
Bank Information Center, kritische NGO über Aktivitäten der Bank
Guardian-Artikel über eine Safeguard-Verletzung der Weltbank
Huffington Post-Artikel über Proteste bei den Konsultationen