Ab 7. Februar werden auf der Berlinale wieder die Stars über die Roten Teppiche schreiten – seit ein paar Jahren sind diese aus recyclebarem Material gefertigt. 2019 nun gehen die Organisatoren weiter: Erstmals werden Teppiche aus alten Fischernetzen verwendet, gefertigt von der Firma Object Carpet. Nach 2018 wird das Kinoevent außerdem zum zweiten Mal komplett ohne Wegwerf-Pappbecher auskommen: Um Müll zu vermeiden gibt es an allen Getränkeausgabestellen entweder Geschirr, Pfandbecher oder Flaschen.
Das Kino „Depot“ in der britischen Stadt Lewes, East Sussex, ist sogar noch weiter in Sachen Nachhaltigkeit. Architektonisch, weil es in einem alten Brauereigebäude untergebracht ist, sozial, weil es auch Bildungsevents anbietet und ökologisch: Die Glaswände vor Foyer und Restaurant werden höchsten Energiestandards gerecht und minimieren Heizkosten – und wer das Kino mit öffentlichen Verkehrsmitteln besucht, der bekommt beim Ticket-Kauf Rabatt auf die Fahrkarten.
Das „Depot“ ist eines von vielen Praxisbeispielen aus einer kürzlich erschienen Publikation mit dem Titel „Das Grüne Kinohandbuch“, das die Journalistin Birgit Heidsiek im Auftrag der Filmförderungsanstalt (FFA) verfasst hat, der nationalen Filmförderung Deutschlands. Man wolle Maßnahmen vorstellen, die energetisch zukunftsweisend wie auch wirtschaftlich nachhaltig sind, schreibt die FFA. „Das Grüne Kinohandbuch richtet sich an die gesamte Filmtheaterbranche, von Einzelhäusern und kleinen Arthouse-Kinos über Mittelständler bis hin zu großen Kinoketten“, sagt Heidsiek.
Ihr ging es dabei nicht nur darum, zu zeigen, was für Kinos möglich ist: Mehrwegbecher statt Einwegbecher, LEDs, digitale Verstärker, die sich abschalten, wenn ruhige Szenen kommen – also Themen wie Energieeffizienz, Mobilität, Abfallmanagement oder Verpflegung. Heidsiek ist es auch wichtig zu zeigen, was für Kinos schlichtweg bald Pflicht ist: Die Gewerbeabfallverordnung schreibt Mülltrennung seit August 2017 für Gewerbetreibende vor, sie muss sogar dokumentiert werden. Seit 1. Januar 2019 gab es nochmals Änderungen, jetzt gilt das neue Verpackungsgesetz.
Herausforderung Plastikbecher in Kinos
Ein einheitliches Patentrezept gibt es für Nachhaltigkeit in Kinos indes nicht. Dafür sind die Rahmenbedingungen zu unterschiedlich. Kleine Kinos besitzen die Immobilie oft nicht, in der sie residieren. Sie können zwar mit LEDs oder Zeitschaltuhren für die Getränkekühlung Strom sparen, aber ihr Gebäude nicht energetisch sanieren. Das eigens als Kino konzipierte Gebäude des Cineplex im bayerischen Neufahrn ist dagegen mit einer Wasserwärmepumpe ausgestattet, die Grundwasser im Sommer zum Kühlen und im Winter zum Heizen nutzt.
„Bei den großen Multiplexkinos gehört es zu den schwierigsten Anforderungen, im Concession-Bereich [Speisen und Getränke, Anm. d. Red.] vom Einwegplastik wegzukommen“, sagt Heidsiek. Pappbecher etwa seien nur gefühlt umweltfreundlicher als Plastikbecher. Ihre Herstellung sei ressourcenintensiv und weil sie beschichtet sind, könne man sie nur schwer recyceln. Abwaschbare Pfandbecher aus Plastik wären eine Alternative – brauchen aber eine entsprechende Logistik. „In kleineren Kinos werden Getränke in der Regel in Gläsern und Glasflaschen angeboten. Dies steht zugleich mit dem Ansatz im Einklang für die Besucher im Kino ein Premiumerlebnis zu schaffen, das sich nicht nur auf die Ausstattung im Kinosaal beschränkt“, sagt Heidsiek. Das Foyer müsse einladend sein und das Ambiente stimmungsvoll, wozu Getränke in Wegwerfbechern nicht gut passten. Doch für große Kinoketten sei es schwierig, für tausende Besucher ausreichend Getränke in Glasflaschen zu kühlen, wenn ein Blockbuster wie der neue „Star Wars“ anlaufe. Heidsiek beschäftigt sich seit 2014 mit Nachhaltigkeit in Film und Kino. „Das Thema ist jetzt in der Branche angekommen“, sagt sie.
Daran hat auch Walter Spruck vom Institut für Nachhaltigkeit in Kultur und Tourismus einen Anteil. Er hat den „Preis für nachhaltiges Kino“ in Hessen mit aufgebaut. Vor einem Jahr startete er eine Nachhaltigkeitsinitiative mit der bundesweiten Cineplex-Gruppe. Der Verbund unabhängiger, mittelständischer Kinounternehmen umfasst 25 Betreiber an 66 Standorten mit mehr als 90 Kinos und 19 Millionen Besucherinnen und Besuchern jährlich.
Cinamaxx, Cinestar, UCI und Kinopolis bald dabei?
Das Konzept ist umfassend, einer der Schwerpunkte ist jedoch die Verringerung des Kunststoffabfalls. „Das ist erfahrbar für Besucher. Sie sehen direkt eine Veränderung, CO2- Fußabdrücke sind dagegen nur eine abstrakte Größe“, sagt Spruck. Alle Maßnahmen beruhen auf Freiwilligkeit. Was daran liegt, dass die Kinos sehr unterschiedlich agieren. „Im ländlichen Raum ist ein Nachhaltigkeitskonzept für Mobilität völlig anders als in Berlin-Mitte“, sagt er. Auf dem Land könnten Kinobesitzer etwa Energieunternehmen Platz für Ladesäulen für Elektrofahrzeuge anbieten, in großen Städten wäre es denkbar, gleich mit dem Ticketkauf einen Rabatt für die Anreise mittels ÖPNV oder sichere Stellplätze für Fahrräder anzubieten. Solche Projekte seien aber in Deutschland noch nicht umgesetzt, sagt Spruck. Leider, denn die An- und Abreise stehe für 70 bis 80 Prozent der CO2-Emissionen bei einem Kinobesuch.
Beim Thema Plastik aber soll es in diesem Jahr losgehen – einige Kinos in Nordrhein-Westfalen wollen bei einem Pilotprojekt abwaschbare Becher statt Wegwerfbecher einsetzen. Parallel will Spruck versuchen, sein Nachhaltigkeitskonzept auf verschiedenen Branchentreffen zur Sprache zu bringen und auch die großen Ketten mit ins Boot zu holen. Bald, so hofft Spruck, könnten Wegwerfbecher und Plastikstrohhalme in deutschen Kinos so der Vergangenheit angehören.
Falls die Betreiber sich allerdings nicht freiwillig bewegen könnte der Gesetzgeber aktiv werden: Die EU will voraussichtlich ab Anfang 2021 diverse Plastikwegwerfartikel verbieten, darunter auch Strohhalme. Spätestens dann muss es zumindest für das Plastikröhrchen in der Limo eine Alternative geben.
→ Meldung vom 19.05.2017: