Gebäudedämmung gilt als gute Sache fürs Klima. Um zwei Drittel im Vergleich zu 1990 soll bis 2030 laut novelliertem Klimaschutzgesetz der CO2-Ausstoß im Gebäudesektor sinken. Dämmung wird deshalb mit Milliardensummen gefördert. Allerdings hat die Sache einen Haken, sagt Lucas Egglseder, Mitgründer des in München ansässigen Start-ups VIOL.GLASS: Meistens nämlich werden Häuser mit Platten aus Polystyrol isoliert – ein viel verwendeter Kunststoff, der Teil des Plastikmüllbergs in Deutschland ist.
Aus diesem Grund hat Egglseder 2020 gemeinsam mit seinem Partner Michael Viol das Unternehmen VIOL.GLASS gegründet, das nach eigenen Angaben eine komplett nachhaltige Alternative für Kellerwände bietet: Kissen, die mit Glasschaum gefüllt sind. Das Material, oft auch Schaumglas genannt, wird hauptsächlich aus nicht sortenreinem Altglas hergestellt, das sonst nicht mehr verwendet werden kann. Es wird gemahlen, eingeschmolzen und bei rund 800 Grad mit Hilfe von Kohlenstoff aufgeschäumt. So entsteht ein leichtes Material mit Millionen kleiner, geschlossener Zellen im Inneren – perfekt für Dämmungen aller Art. Das Verfahren selbst ist in den 1970er Jahren in der Schweiz entwickelt worden, die Patente waren lange im Familienbesitz der Viols, die mit dem Erfinder befreundet waren – so schreibt es die Firma auf ihrer Homepage.
Heute bezieht VIOL.GLASS das Schaumglas von einem Partner. Es wird auch von einigen anderen Unternehmen zu Dämmplatten verarbeitet oder als Granulat verwendet. Die Platten allerdings haben laut Egglseder Nachteile. „Da verschiedene Glassorten verwendet werden, kommt es zu Spannungen in den Platten. Sie brechen also relativ leicht“, sagt er.
Es begann mit einem Ikea-Kissen
Michael Viol hatte deshalb vor einigen Jahren eine simple Idee: Was, wenn man nicht ganze Platten verwendet, sondern das wesentlich flexiblere Glasschaumgranulat einfach in Säcke füllt? Er unternahm erste Versuche mit Kissenbezügen von Ikea, erzählt Egglseder. Daraus entstand das Produkt Violwall – von RENN.süd als Transformationsprojekt 2021 ausgezeichnet, zusätzlich gewann das Produkt kürzlich den Bundespreis Ecodesign. Statt außen ans Mauerwerk Polystyrol-Platten anzukleben, verwendet die Firma mit Glasschaumgranulat gefüllte Kissenelemente, die wie Matratzen aussehen. „Diese Kissen umschließen die Grundmauern und bilden so eine undurchdringbare Barriere“, schreibt das Unternehmen.
Lediglich die Kissen selbst bestehen dabei aus Kunststoff, sogenanntem Geotextil, robuste Fasern, die im Außenbereich etwa zum Bewehren von Hängen verwendet werden. „Wir hätten zwar gerne eine Lösung komplett ohne Plastik – aber die Alternativen haben derzeit eine schlechtere Klimabilanz und bestehen teilweise immer noch aus Kunststoff. Insgesamt gesehen entspricht der Plastikanteil einem Volumen von gerade einmal 0,6 Prozent“, sagt Egglseder.
Beim Einsatz der Kissen werden erst die Grundmauern freigelegt und gereinigt, dann die Elemente an die Außenwände gestellt – angeklebt werden müssen sie nicht. Wird dann wieder Erdreich aufgefüllt, verzahnt sich durch den Druck das Granulat im Inneren der Kissen – gleichzeitig ist es flexibel genug, um sich eng ans Mauerwerk anzufügen. Von außen lässt der Glasschaum kein Wasser eindringen, auf Seiten der Wand sind die Kissen durchlässig. „Das Granulat kann so Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk aufnehmen und durch Evaporation nach oben transportieren“, sagt Egglseder.
Wird die Dämmung irgendwann entfernt, lässt sich das Granulat aus den Kissen entfernen und kann wiederverwendet werden. „Glasschaum ist im Prinzip Quarzsand, der in der Natur überall vorkommt. Man kann ihn auch einfach ins Beet schütten“, sagt Egglseder. Das Geotextil wiederum kann getrennt recycelt werden.
Und die Platten aus Schaumglas anderer Hersteller? Die können nicht nur Risse bekommen, sie müssten auch noch mit Bitumen oder anderen Stoffen verklebt werden, sagt Egglseder. Das mache sie nicht recycelbar. Polystyrol-Platten wiederum sind ohnehin nicht nachhaltig – sie sind eine Quelle von Mikroplastik im Erdreich und müssen als Sondermüll entsorgt werden, wenn sie das Flammschutzmittel HBCD enthalten.
Großer Markt für alternative Lösungen
Alle Angaben zur VIOWALL beruhen noch auf Aussagen der Firma – die Eigenschaft der Glasschaum-Kissen werden derzeit geprüft und zertifiziert. Für die Dämmwirkung des Schaumglas-Granulats liegt bereits eine Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik vor. Schließlich verwenden es auch andere Hersteller, um Fundamente oder Kellerböden von unten zu isolieren. In Kissen verpackt für eine Anwendung an senkrechten Wänden biete es nur VIOL.GLASS an, so Egglseder.
Einige Gebäude habe man bisher gedämmt. „Wir sind als Impact Startup Investoren gegenüber aufgeschlossen, um uns weiter etablieren zu können“, sagt Egglseder. Das System sei so einfach, dass Bauherren es selbst einsetzen können – entsprechend planen die beiden Gründer, es unter anderem über Baustoffvertriebe zu vermarkten. Der Patentantrag läuft, Egglseder ist guter Dinge, die Firma zu einem internationalen Unternehmen aufbauen zu können. „Auf dem Markt existieren nicht viele Dämmmittel, die auch nur ansatzweise an unsere Umweltbilanz rankommen“, sagt er.
Der Markt jedenfalls scheint riesig. Laut Umweltbundesamt fallen in Deutschland jedes Jahr 200 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle an. Nominal gebe es zwar eine hohe Recyclingquote, dennoch würden Produktkreisläufe nur unzureichend geschlossen, heißt es in einem Bericht des Umweltbundesamtes von Oktober 2020. „Da die Wiederverwendung und das Recycling von Dämmstoffen aus Rückbau und Abriss aktuell kaum stattfinden, wird der größte Teil der über 200.000 Tonnen an Dämmstoffabfällen, die jährlich anfallen, verbrannt oder deponiert“, schreibt außerdem die Deutsche Umwelthilfe in einer aktuellen Broschüre über innovative Wärmedämmung. Ein Produkt, das dort als Alternative aufgeführt ist: Glasschaum.