„Wenn wir ein Moor wiedervernässen wollen, müssen wir alle Beteiligten dabei haben“

Franziska Tanneberger ist Leiterin des Greifswald Moor Centrum und seit einem Jahr Mitglied im Nachhaltigkeitsrat. Kohlenstoff- und Wasserspeicher, Biodiversitäts-Hotspot und wirtschaftlich nutzbar – im Interview erklärt die Moorforscherin, wie vielseitig ein wiedervernässtes Moor sein kann.

Frau Tanneberger, Sie sind Moorforscherin. Was passiert in einem Moor?

Franziska Tanneberger: Ein Moor ist ein Ökosystem, wie ein Wald oder ein See. Aber es hat einige besondere Eigenschaften: Ein Moor kann große Mengen Kohlenstoff aufnehmen und im Boden einlagern. So kann es beim Klimaschutz helfen. Und ein nasses Moor ist ein Wasserspeicher, was in Zeiten von Sommerdürren hilfreich ist. Außerdem ist ein natürliches Moor ein echter Biodiversitäts-Hotspot. Und nicht zuletzt sind Moore Flächen, die wir wirtschaftlich nutzen können.

Was findet man in einem Moor und was sagt das über die Umgebung aus?

Man findet Torf, der aus zersetzten, konservierten Pflanzenresten besteht. Das Wasser bewahrt alles wie eine Schutzglocke auf. Moore befinden sich in Gebieten, in denen es einen Wasserüberschuss gegeben hat, an Küsten oder in Niederungen. Oder entlang von Flüssen – deswegen gibt es in Städten, wie Hamburg, Berlin oder München, auch innerstädtische Moore. Aber auch an Gebirgshängen, wo es viel regnet. Fünf Prozent der Fläche Deutschlands sind Moore. Im Torf kann man die Geschichte der Landschaft lesen, wie in einem Archiv. Schicht für Schicht wird hier etwa ein Millimeter pro Jahr aufgelagert, so kann man sagen, ob hier vor 4000 Jahren Birken oder Gräser wuchsen oder wann die Landwirtschaft begann. Die ältesten Schichten sind etwa 10.000 Jahre alt, weil sich die deutschen Moore nach der letzten Eiszeit gebildet haben.

Wo gibt es in Deutschland überall Moore?

Der größte Anteil ist in Norddeutschland. Das moorreichste Bundesland ist Niedersachsen, hier haben wir alleine 600.000 Hektar, das ist ein sehr hoher Flächenanteil am Bundesland. Aber auch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben viele Moore und dann weiter im Süden in Bayern und Baden-Württemberg – dazwischen ist es ganz schön unmoorig.

Sie haben schon gesagt, Moore enthalten in den Torfen viel Kohlenstoff. Nur sind viele Moore in Deutschland heute trocken. Was bedeutet das?

Wenn wir ein Moor künstlich entwässern, dann tritt Sauerstoff an den Torf und es bildet sich CO2. Das ist ein schlichter chemischer Prozess, den man nicht sehen kann. Aber das führt dazu, dass aus einem Hektar entwässerter Moorfläche zwischen 30 und 40 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr entweichen. Das geht einfach in die Luft, das passiert die ganze Zeit.

Wie viel Anteil haben trockene Moore an Deutschlands CO2-Emissionen?

Bundesweit sind sieben Prozent unserer Treibhausgasemissionen durch entwässerte Moore verursacht. Und in einigen Regionen, etwa Mecklenburg-Vorpommern, sind es 40 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen. Von der Gesamtmenge her ist Niedersachsen mit 18 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr Spitzenreiter.

Das ist viel, könnte man das stoppen?

Das könnte man, indem man wieder einen höheren Wasserstand zulässt. Denn die Flächen werden ja durch uns künstlich entwässert. Das machen wir seit Jahrhunderten. Ab dem Moment, in dem der Torf nicht mehr mit Sauerstoff in Berührung kommt, würde sich auch das CO2 nicht mehr bilden. Das ist ein sofortiger Effekt und deshalb eine sehr effiziente Klimaschutzmaßnahme, wenn man nur das Biochemische betrachtet. Aber menschlich gesehen geht das nicht so schnell.

Wieso?

Bei den Mooren ist es anders als beim Aufforsten. Da könnte man immer bei einem Teil der Fläche und ein paar Leuten anfangen. Wenn wir aber ein Moor wiedervernässen wollen, müssen wir alle Beteiligten dabei haben. Wir können nicht sagen, wir vernässen hier ein Stück und das Stück da drüben, das lassen wir trocken. Das funktioniert nicht. Bevor wir diese Klimaschutzmaßnahme umsetzen können, brauchen wir einen kooperativen Prozess mit Eigentümern, mit Anwohnern, mit Landnutzenden. Das ist herausfordernd, aber es ist auch eine schöne Aufgabe.

Ursprünglich diente die Entwässerung also der Besiedlung und der Landwirtschaft?

Vor allem der Landwirtschaft, das kann man gut zurückverfolgen. Und man muss klar sagen, das war aus damaliger Sicht sinnvoll – man wusste ja nichts über negative Effekte, Klimaschutz und CO2. Aber jetzt ist es eine Landnutzung, wo klarer Handlungsbedarf besteht. Und wir müssen berücksichtigen, dass Einkommen und Existenzen von Menschen von diesen Flächen abhängen.

Welche Alternativen zur Entwässerung gibt es denn für die Landwirtschaft in Moor-Regionen?

Es gibt heute Betriebe, die auf nassen Moorflächen wirtschaften und davon leben können. Es sind aber noch sehr, sehr wenige. Der Grund liegt, glaube ich, nicht primär darin, dass die Konzepte nicht funktionieren, sondern dass die Rahmenbedingungen bisher dagegensprechen. Ein klassisches Beispiel wäre Dachschilf. Man kennt ja aus Norddeutschland die reetgedeckten Häuser. Alle mögen sie, aber wir importieren derzeit über 80 Prozent des Schilfs, unter anderem aus China, obwohl diese Pflanze hier hervorragend wachsen kann. Der Hauptgrund, warum das hier nicht angebaut wird, ist, dass die landwirtschaftliche Förderpolitik das bisher nicht vorsieht. Paludikultur, also die landwirtschaftliche Nutzung eines wiedervernässten Moores, hat bisher nahezu keine Fördersicherheit.

Gibt es dennoch Akteur*innen, denen ein Umstieg auf Paludikultur gelungen ist?

Ja, es gibt einige Beispiele. Das sind oft Menschen, die sehen, dass die Entwässerung von Mooren eine Sackgasse ist. In Niedersachsen gibt es eine Familie, die Torfmoosanbau betreibt. Eine Familie in Mecklenburg-Vorpommern erzeugt Nahwärme in einem Heizwerk mit Niedermoor-Heu. In Brandenburg wird mit Wasserbüffeln gearbeitet oder Pferdeheu geerntet. In Bayern werden Trockenbauplatten aus Rohrkolben, Schilf und anderen Moorgräsern produziert. Gemessen an der Gesamtfläche sind es aber noch verschwindend wenige – denn wir reden hier über 1,9 Millionen Hektar Fläche in Deutschland.

Wie viel davon ist derzeit trocken?

Wir gehen davon aus, dass immer noch über 90 Prozent der Fläche trocken und entwässert ist. Eine Zahl, die schon seit zwanzig Jahren im Raum steht.

Gibt es international gesehen Vorbilder, die beim Moorschutz besser voran kommen als Deutschland?

Ja, Indonesien ist zum Beispiel ein sehr moorreiches Land, das auch stark entwässert hat und heute weiter ist als Deutschland. Dort wurde 2018 eine staatliche Moorrestaurierungsagentur gegründet, die Wiedervernässung umsetzt, ein Monitoring des Wasserstands betreibt und mit den Regionen arbeitet.

Gibt es außer der Paludikultur noch andere Nutzungsformen von wiedervernässten Mooren?

Ja, einige – etwa Naturtourismus. In nassen Mooren findet man etwa Kraniche, Adler, Gänse, viele Watvögel und auch faszinierende Schmetterlinge und Libellen. Man kann auch die eingesparten CO2-Emissionen über Zertifikate auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt in Wert setzen. Sehr viel Interesse besteht auch daran, stark entwässerte und damit aus wissenschaftlicher Sicht völlig kaputte Moore wiederzuvernässen und für Photovoltaik zu nutzen.

Das klingt, als wäre Moorschutz sehr vielseitig.

Das ist er. Im aktuellen Arbeitsprogramm des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) geht es ja schwerpunktmäßig um Wege zu Netto-Null im Klimaschutz, um den sozialen Zusammenhalt und um Artenvielfalt. Das Thema Wasser und Moore betrifft jeden dieser Bereiche. Wenn wir über Moore sprechen, haben wir oft die Klimabrille auf, aber die Biodiversität spielt auch eine ganz, ganz starke Rolle. Viele Arten können von Paludikultur profitieren.

Welche zum Beispiel?

Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine zehn Hektar große Fläche, auf der wir Paludikultur erforschen und Rohrkolben angepflanzt haben. Da gibt es bereits Nachfrage von Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, aus Rohrkolben Dämmplatten zu machen. Wir hatten auch ein britisches Start-up hier, die Daunenjacken mit dem fluffigen Zeug aus dem Samenstand füllen. Bemerkenswert ist, dass einer unserer Masterstudierenden vor Kurzem auf dieser Fläche knapp die Hälfte aller Libellenarten Mecklenburg-Vorpommerns nachgewiesen hat. Die waren vor der Wiedervernässung vor drei Jahren nicht da. Aber Natur ist sehr dynamisch und ich glaube, dass man hier wirklich einen guten Beitrag leisten kann.

Also hängt der Moorschutz nun vor allem davon ab, ob alle mitmachen wollen?

Ja. Die Frage, wie wir mit den Moorflächen umgehen, hat sozialen Sprengstoff. Auch das Narrativ „ihr in den Städten sagt uns, wie wir auf dem Land leben sollen“ wird hier bedient. Das kann gut ausgehen, oder das kann kippen. Deswegen finde ich es auch sehr gut, dass wir uns im RNE neben Artenvielfalt und Klimaschutz auch vertieft zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beraten.

 

Zur Person

Franziska Tanneberger ist Moorforscherin und leitet seit 2015 das Greifswald Moor Centrum (GMC). In ihrer Habilitationsschrift von 2023 beschäftigt sie sich mit Biodiversität und Ökosystemleistungen von naturnahen und wiedervernässten Niedermooren in Mittel- und Osteuropa. Im Januar 2023 ist sie als Mitglied in den Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen worden.