„Wer im Entwicklungshaushalt kürzt, provoziert die nächsten Konflikte“

In der globalen Entwicklungsfinanzierung klafft eine enorme Lücke. Die ärmsten Länder haben so nichts mehr übrig, um sich den SDGs zu widmen. Mitschuld daran ist die globale Finanz- und Schuldenarchitektur, die sich unter anderem mit der Reform der Weltbank nun ändern soll. Was diese Reform bringt und wo noch mehr getan werden muss, erklärt Ratsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul im Interview.

Historisch gesehen stand die Entwicklungsfinanzierung der Weltbank immer wieder in der Kritik. Aktuell fordert der globale Süden mehr Mitspracherecht in Finanzierungsfragen. Wo liegt hier bisher das Problem?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Zum einen war das Problem, dass die Finanzierung für die Ziele, die sich auch die aktuelle Entwicklungsministerin Svenja Schulze gestellt hat, nicht ausreichend war. Deshalb ist es gut, dass es bei der Frühjahrstagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die gerade stattgefunden hat, möglich war, das Ausleihvolumen um 70 Milliarden US-Dollar aufzustocken. Damit können jene Länder unterstützt werden, die für globale Güter – also Güter, deren Nutzen und Kosten über die Staatsgrenzen hinausgehen – investieren wollen und die dazu bisher keine Chance hatten. Deutschland hat zur Finanzierung bereits einen Beitrag geleistet, indem – das hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bereits im vergangenen Jahr angekündigt – der Weltbank ein Betrag von 305 Millionen Euro Hybridkapital zur Verfügung gestellt wurde. Das war sozusagen der Impuls, an den sich dann andere angeschlossen haben. Das ist sicher sinnvoll, irgendwann wird sich dennoch die Frage nach einer weiteren Aufstockung stellen.

Die Handlungsfähigkeit der ärmsten Länder war bisher schon durch die Schuldenarchitektur sehr eingeschränkt, woran liegt das?

Das ist ein umfangreicher Punkt. Wir hatten als Bundesregierung zu Beginn der 2000er-Jahre eine Initiative gestartet, die den Schuldenerlass für „Heavily Indebted Poor Countries“ vorgesehen hat, im Ausgleich dafür, dass sie den gewonnenen Handlungsspielraum nutzen, um etwa in Gesundheit, in Bildung und ähnliches zu investieren. Das Problem ist, dass – insbesondere nach der Zinswende, die die USA an den Tag gelegt haben und durch die Betroffenheit durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie – die Verschuldung von den ärmsten Ländern drastisch gestiegen ist. Ein Teil der Länder muss fast 30 Prozent ihrer Staatshaushalte zur Schuldenfinanzierung ausgeben. Da bleibt nichts mehr übrig für die Sustainable Development Goals (SDGs), für die Frage der Dekarbonisierung oder die Umstellung der Wirtschaft. In dieser Ausgangssituation reicht es meines Erachtens nicht aus zu sagen: Wir haben ja das “G20 Common Framework“ zum Schuldenerlass. Denn wenn man sich ansieht, wie viele Länder davon bisher profitieren können, ist das einfach ungenügend.

Wie könnte man das ändern?

Eigentlich – und das haben wir auch in den RNE-Positionen vom Juni 2023 bereits festgestellt – braucht es mehr Transparenz über die Fragen: Wer ist verschuldet und wer sind die Gläubiger? Außerdem braucht es, glaube ich, einen neuen Impuls, bei dem traditionelle Geber, aber auch China und die Privaten, die beteiligt sind, gemeinsam Schuldenerleichterung und besseres Schuldenmanagement ermöglichen. Das ist heute meines Erachtens eine zwingende Notwendigkeit.

Die Weltbank will sich nun zu einer „besseren Bank“ reformieren. Bei der Frühjahrstagung sind Umsetzungsschritte beschlossen worden. Welche waren das?

Zum einen ist eben das Ausleihvolumen erweitert worden und damit auch der Auftrag der Bank. Es geht nicht nur um die Frage der Armutsbekämpfung, sondern auch um die Finanzierung von globalen Gütern und vor allem um die Umstellung angesichts des Klimawandels. Wir sagen als RNE ja schon länger, dass die Weltbank zu einer Transformationsbank werden muss. Ein Schritt in diese Richtung ist jetzt gemacht worden, nun liegt es an der Umsetzung. Außerdem sind die Indikatoren zur Messung der Wirkung reduziert worden. Dabei sind auch zwei Indikatoren, Biodiversität und Ungleichheit, neu aufgenommen worden. Ich denke, auch das sind wichtige Schritte, damit die ärmsten Länder nicht die Sorge haben, dass neue Aufgaben auf ihre Rechnung gehen.

Was würden Sie sagen, wo ist in dieser Reform noch Luft nach oben?

Ich würde sagen, das Allerwichtigste ist, dass sie schnell umgesetzt wird. Denn ich weiß, was das für Prozesse sind und der Teufel steckt im Detail.

Und wenn Sie sich nun, mit diesen Reformschritten im Blick, die Positionen des RNE aus dem Sommer 2023 ansehen, wie sind die vorangekommen?

In Bezug auf die Weltbank sind jene Punkte, die wir damals genannt haben, wirklich besser vorangekommen, als ich es erwartet hatte, nachdem sich viele Jahre kaum etwas bewegt hat.

Ein weiterer Punkt, den Sie bereits 2023 erwähnt haben, ist die Frage der Aufteilung der Sonderziehungsrechte – was hat sich da getan?

Es sind ja im Jahr 2021 650 Milliarden US-Dollar Sonderziehungsrechte – damals angesichts der Corona-Pandemie und von Seiten des IWF – zur Verfügung gestellt worden, zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung. Fakt ist aber, dass sich die Zuteilung dieser Sonderziehungsrechte nach den Quoten der Anteilseigner richtet und nicht nach der Frage der Armut oder der besonderen Vulnerabilität. Das hat dazu geführt, dass etwa Deutschland auf diese Art und Weise mehr erhalten hat als der gesamte afrikanische Kontinent. Das ist natürlich für Länder des globalen Südens nur schwer nachvollziehbar. Dazu gibt es nun interessante Entwicklungen. Und zwar soll es die Möglichkeit geben, dass Sonderziehungsrechte im Grunde als Hybridkapital für die Afrikanische Entwicklungsbank zur Verfügung gestellt werden. Das macht unter allen Gesichtspunkten Sinn. Denn die Afrikanische Entwicklungsbank spielt eine große Rolle, und das würde dazu führen, dass das Ausleihvolumen stärker würde, weil ihre Stabilität und Sicherheit natürlich gewönne. Also ich hoffe, dass der IWF das so entscheidet. Es sieht aber so aus, dass es dazu ein neues German Vote des Finanzministers gibt, dass Deutschland diese Aktion nicht unterstützt.

Deutschland ist mitverantwortlich für die Ausarbeitung des UN-Zukunftspaktes. Welche Rolle wird der UN-Zukunftspakt bei der International Conference on Financing for Development in Madrid im Sommer 2025 spielen?

Das kommt darauf an, wie sich die Beschlussfassung entwickelt. Bisher ist der Entwurf in Teilen sehr allgemein formuliert, hat aber gerade in Bezug auf die Finanzierung von Nachhaltigkeitszielen wichtige Signale gesetzt. Eigentlich ist der Zukunftspakt das Signal, dass man in einer von Geopolitik zerrütteten Welt Multilateralismus stärken will. Und deshalb finde ich, dass mehr Aufmerksamkeit dafür in Deutschland wirklich notwendig und wichtig wäre.

Gibt es in der derzeitigen geopolitischen Lage überhaupt eine Aussicht auf Einigung?

Das ist durchaus möglich, wie sich im April bei der Frühjahrstagung des Financing for Development Forum vom Economic and Social Council der UN (ECOSOC) gezeigt hat. Anders als bei den beiden internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und IWF, wo es durch die Geopolitik praktisch unmöglich war, ein gemeinsames Statement zu machen, hat es bei diesem ECOSOC-Treffen sogar per Abstimmung ein gemeinsames Statement gegeben. Das zeigt, dass die UN-Ebene doch eine ist, die wir stärken sollten, weil sie den Zusammenhalt voranbringt und unnötige Fragmentierung verhindert.

Worauf hat man sich da geeinigt?

In dem Dokument wird etwa darauf hingewiesen, dass eine Finanzierungslücke – je nach Berechnung sind es 2,5 Milliarden bis 4 Milliarden US-Dollar – gefüllt werden muss, um die Nachhaltigkeitsziele und die Klimaziele zu verwirklichen. Dies muss aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen geschehen. Klar ist da auch der private Sektor gemeint. Aber es ist ebenfalls völlig klar, dass dazu ein Teil öffentlicher Mittel gehört. Das ist die Herausforderung, um die es derzeit geht.

Welche Ansätze gibt es denn, um diese Lücke zu schließen?

Einer der interessanten Ansätze, den wir auch im RNE gestärkt haben, ist den Aufbau eigener Steuersysteme in den Ländern des globalen Südens voranzubringen. Und zwar möglichst transparent und digitalisiert, was auch gegen Korruption hilft. Ein weiterer Ansatz im Rahmen der Entschuldung sind “Debt Swaps”, also ein Schuldenerlass, der dazu führt, dass mit diesen Mitteln etwa eine Umstellung im wirtschaftlichen Bereich oder erneuerbare Energien finanziert werden. Doch es ist auch wichtig, die internationalen Finanzinstitutionen inklusiver zu machen. Und es gab einen interessanten Vorschlag in der G20-Präsidentschaft des brasilianischen Finanzministers zur Besteuerung der 3.000 reichsten Menschen der Welt, was immerhin 250 Milliarden US-Dollar einbringen würde. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat das unterstützt und aufgegriffen. Das sind alles wichtige Perspektiven mit Blick auf die Konferenz in Madrid.

Die Reform der Weltbank hat Deutschland mit initiiert. Kann sich die Bundesregierung nun zurücklehnen oder sollte sie noch mehr machen?

Also was die Weltbank anbelangt, denke ich, sind die Schritte vorgezeichnet. Aber die Frage ist natürlich, was macht die Bundesregierung zu Hause? Wie verhält sie sich? Und da nehme ich doch mit einigem Erstaunen – um es diplomatisch auszudrücken – zur Kenntnis, dass es Versuche gibt, im Entwicklungshaushalt drastisch zu kürzen und auch bei der humanitären Hilfe im Auswärtigen Amt Kürzungen vorzunehmen. Das ist das absolute Gegenteil dessen, was wir brauchen, wenn wir neue globale Bündnisse wollen und verhindern wollen, dass es neue Bündnisse gibt, die sich bei Staaten wie Russland oder China einklinken. Wer hier kürzt, der provoziert die nächsten Konflikte. Denn dann kann dem Klimawandel nicht ausreichend entgegengewirkt werden. Wenn der Finanzminister nun argumentiert, wir könnten nicht mehr machen, verzwergt das die globale Rolle Deutschlands. Und wir haben gelernt: Wir sind nicht auf Dauer sicher, wenn es nicht global mehr Sicherheit gibt – und zwar nicht nur militärische Sicherheit: Wir müssen auch wehrhaft sein im Kampf gegen Klimawandel, im Kampf gegen Pandemien, im Kampf gegen Rassismus und Ungleichheit. Diese Argumentation zur Einsparung steht in krassem Gegensatz zu dem, was Olaf Scholz auf all seinen Reisen und in seinen Unternehmungen vorsieht.

Wie könnte man auf nationaler Ebene noch mehr Bewusstsein für dieses wichtige Thema schaffen?

Natürlich ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft sich engagiert. Aber es kommt auch darauf an, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, das, was sie in internationalen Konferenzen beschließen, zu Hause entsprechend vertreten – mit allen Konsequenzen.

 

Empfehlungen & Stellungnahmen

Finanzierung der Transformation und nachhaltigen Entwicklung

Reform der internationalen Finanzarchitektur - Stellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung; Berlin, 21.06.2023