Bundesweit gibt es Bürgerinitiativen gegen Windräder, Solarparks, Biogasanlagen oder Stromnetze. Aber wie damit umgehen, wie die Konflikte lösen, von denen es immer mehr gibt? Im Projekt Enerlog suchen Wissenschaftler in ganz Deutschland nach Beispielen und Ideen, wie Gegner vor Ort mit der Energiewende versöhnt werden. Jetzt ziehen sie Zwischenbilanz.
Thomas Berger bekämpfte erst einen Windpark, und danach setze er sich für einen ein. Das ist für den Bürgermeister der brandenburgischen Stadt Trebbin kein Widerspruch. „Wir hätten als Stadt keinen Einfluss und keine Gestaltungsmöglichkeiten gehabt, es hätte auch keine Anbindung an ein Gesamtkonzept gegeben“, sagt Berger über einen geplanten Windpark eines Investors, dessen Bau die Stadt Seite an Seite mit einer Bürgerinitiative stoppte.
Trotzdem ist Berger mit seinem Vorgehen ein positives Beispiel zum Thema „Energiekonflikte produktiv wenden“, so der Titel einer Podiumsdiskussion der Tagung „Energiekonflikte nutzen“. Denn die Stadt Trebbin mit ihren fast 10.000 Einwohnern steht derzeit kurz vor einem Satzungsbeschluss darüber, gemeinsam mit dem Unternehmen Energiequelle nun doch einen Windpark zu errichten. „Manche Leute im Ort haben zwar immer noch etwas dagegen, aber organisierten Widerstand haben wir nicht mehr“, sagt Berger.
Wie ein derartiger Sinneswandel passiert, das erforscht Matthias Naumann vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung (IRS) und Strukturplanung im Rahmen des Projektes Enerlog, das auch die oben erwähnte Tagung ausrichtet. Dabei geht es um die „Lösung von lokalen energiepolitischen Konflikten und Verwirklichung von Gemeinwohlzielen durch neue Organisationsformen im Energiebereich“, so die Beschreibung des auf drei Jahren angelegten Projektes des IRS, der Zukunfts-Agentur Brandenburg und ICLEI, einer globalen Organisation von Städten, Gemeinden und Landkreisen, die sich für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung einsetzen.
Sündenbock Windrad
„Hinter dem Widerstand gegen die Windkraft stecken tiefere Konflikte“, sagt Naumann. „Oft herrscht in den Orten, wo sich Bürgerinitiativen formieren das Gefühl der wirtschaftlichen und politischen Abgehängtheit vor“, beschreibt er die bisherigen Erfahrungen aus zahlreichen Interviews vor Ort. Bürger seien etwa unzufrieden über hohe Abwassergebühren, die schlechte Infrastruktur, die allgemeine Lage vor Ort. Das entzünde sich dann an dem sichtbaren Symbol einer Intervention von außen: dem Windrad, an dem ein fremder Investor verdient.
Strukturell haben die an Enerlog beteiligten Wissenschaftler in einem ersten Arbeitspapier fünf Typen von Konflikten ausgemacht: Verteilungskonflikte um die Erträge der Anlagen, Verfahrenskonflikte wie mangelnde Transparenz, Konflikte um die Nutzung des Landes und die sogenannte „Verspargelung“, den Eingriff in das Landschaftsbild.
Dazu kommt die Frage der Identität, ob eine Region sich als Energieregion oder Tourismusgebiet versteht, sowie Prinzipienfragen – Naumann berichtet von „Hardlinern“, die schlicht den gesamten Klimawandel für eine Erfindung halten und die Notwendigkeit einer Energiewende gleich mit. Da werde dann rationales Argumentieren schwer. „Ich sehe auch eine Radikalisierung mancher Windkraftgegner“, sagt Naumann.
Mit allen anderen Gegnern von erneuerbaren Energien lässt sich prinzipiell Überzeugungsarbeit leisten. Bürgermeister Berger und die Stadt Trebbin etwa haben die Pläne für die Windkraft in ein Gesamtkonzept integriert. Das etwa sieht vor, dass die Stadt ihren Strom und ihre Wärme mittelfristig komplett selbst aus erneuerbaren Quellen deckt, den Nahverkehr ausbaut und Gebäude energieeffizienter werden.
Der Strom soll über einen privaten Anbieter auch regional verkauft werden. Das Konzept ist eingebettet in die Pläne des Landkreises Teltow-Fläming, der bis 2030 CO2-neutral werden will. „Wenn sie einfach nur einem Investor eine Wiese überlassen, um einen Windpark zu bauen, dann bekommen sie Widerstände. Wenn Sie dagegen ein Gesamtkonzept haben, dann funktioniert das“, sagt Bürgermeister Berger.
80 Euro für jeden Bürger
Naumann hat eine Reihe derartiger Beispiele gesammelt – darunter auch die klassische Energiegenossenschaft. In strukturschwachen Gebieten gibt es allerdings oft das Problem, dass Anwohner von Windparks sich finanziell überhaupt nicht beteiligen können – weil die Kaufkraft fehlt. Hier hat die Gemeinde Schipkau mit einem Bürgerwindmodell Geschichte geschrieben: Dort bekommt jeder Bürger, vom Säugling bis zum Greis, jedes Jahr 80 Euro aus den Gewinnen eines Windkraftinvestors ausbezahlt.
Auch Mecklenburg-Vorpommern will mit einem Beteiligungsgesetz rechtliches Neuland betreten. „Wir sind die ersten, die diesen Weg einschlagen. Daher werden wir deutschlandweit teils kritisch, teils anerkennend beobachtet. Ich bin aber zuversichtlich, dass es der richtige Weg ist“, sagte Energieminister Pegel auf der Energiewende-Fachtagung in Neustrelitz.
Aus Beispielen wie in Schipkau will das Enerlog-Team bis Mitte 2016 einen Leitfaden entwickeln, in dem die Erfolgsfaktoren auf andere Kommunen übertragen werden sollen. Nötig ist es: In einer noch unveröffentlichten Untersuchung zählt das IRS allein in Brandenburg 80 Anti-Windkraft-Initiativen. „Wir haben den Eindruck, dass die Auseinandersetzungen zunehmen“, sagt Naumann.
Weiterführende Informationen
Energiekonzept der Stadt Trebbin [pdf, 490 KB]
Studie zu Energielandschaften in Brandenburg [pdf, 3,1 KB]
Bürgerwindmodel in Schipkau
Bürger- und Kommunalbeteiligungsgesetz, Mecklenburg-Vorpommern