Herr Schmidt, viele Experten monieren, dass Deutschland beim Thema nachhaltige Finanzwirtschaft hinterherhinkt. Wie kommt das?
Michael Schmidt: Dafür gibt es drei Erklärungen: Die erste ist die Wertpapierkultur, die bei den deutschen Anlegern generell noch nicht weit entwickelt ist. Sie wissen wenig über die Zusammenhänge von Finanzsystem und Gesamtwirtschaft und damit auch über Nachhaltigkeit in diesem Bereich. Man kauft hierzulande zwar Bio, ist von der Energiewende überzeugt, achtet auf die Herkunft von Produkten und setzt sich Solaranlagen aufs Dach. Aber das Interesse dafür, wie Finanzentscheidungen wirken, ist gering.
Liegt es also an der Nachfrage der Kunden?
Nein, nicht nur. Der zweite Punkt sind institutionelle Anleger, also etwa Stiftungen, Pensionskassen, Versicherungen und Anlagemanager. Zu viele sehen nach wie vor einen Konflikt zwischen dem magischen Dreieck von Rendite, Sicherheit und Liquidität – und dem Aspekt Nachhaltigkeit, der diese Ziele vermeintlich gefährdet. Da gibt es teilweise Berührungsängste, Wissenslücken und einen Mangel an Bewusstsein.
Also sollte aus dem magischen Dreieck ein Viereck werden?
Nachhaltigkeitsaspekte sollten integraler Bestandteil von Rendite, Sicherheit und Liquidität sein. Man könnte aber auch ein magisches Viereck definieren. Da kann es dann durchaus Zielkonflikte geben, etwa zwischen Nachhaltigkeit und Liquidität. Wenn man beispielsweise in langfristige, nachhaltige Projekte investiert, dann kann man diese nicht einfach am nächsten Tag wieder verkaufen, sie sind also nicht liquide. Schließt man zu viele Investitionen aus, kann es auch zu einem Zielkonflikt zwischen Nachhaltigkeit und Rendite kommen. Deshalb sollte Nachhaltigkeit bei vielen institutionellen Anlegern aber nicht von vorn herein ausgeschlossen werden. Denn gleichzeitig zeigen viele Studien, dass sich die risikojustierte Rendite oft sogar verbessert, wenn man Nachhaltigkeitsaspekte mit einbezieht.
Und der dritte Punkt?
Die Vorbildfunktion des Staates bei der Anlage öffentlicher Gelder fehlt in Deutschland komplett. Da sind etwa Norwegen oder Frankreich viel weiter.
Viele der Debatten haben sich in der Vergangenheit wiederholt. Was wird nun anders beim ersten Sustainable Finance Gipfel am 23. Oktober?
Das beantwortet sich schon am Titel: „Sustainable Finance Gipfel Deutschland“. Erstmals reden wir über alle Themen der Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft. Nicht über einzelne Produkte, die neben der Finanzwirtschaft existieren, sondern um Grundsätzliches im System. Wir haben konkrete Empfehlungspapiere – den Zwischenbericht der High Level Expert Group on Sustainable Finance der EU-Kommission, die PRI Roadmap für Deutschland, das living document Sustainable Finance des Rates für Nachhaltige Entwicklung und die Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures des Finanzstabilitätsrates der G20-Staaten.
Aber es gibt doch Vorbehalte in der Branche?
Es gibt Berührungsängste, vor allem zwischen der Zivilgesellschaft und der Finanzindustrie sowie der Politik und der Finanzindustrie. Diese wollen wir abbauen. Vorschläge des Rates für Nachhaltige Entwicklung sind in der Finanzindustrie bisher mit Vorsicht betrachtet worden. Entscheidend ist, dass wir ein gemeinsames Thema haben. Vieles, was es an Vorschlägen zur nachhaltigen Finanzwirtschaft gibt, kommt von internationalen Organisationen. Da konnte man in Deutschland bisher bequem sagen: Na, warten wir mal ab. Jetzt wollen wir zeigen, wie relevant das Thema für Deutschland ist.
Was muss denn die nächste Bundesregierung leisten?
Nicht von ungefähr haben wir den Gipfel jetzt angesetzt. Wir haben zehn Thesen, viele davon richten sich klar an die Bundesregierung. Eine etwa lautet, dass wir Anreize auf der realwirtschaftlichen Seite brauchen. Die Finanzindustrie kann allokieren und verstärken, aber letztlich werden die Ziele zum Klimawandel oder zur Agenda 2030 nur in Produktionsprozessen, Produktentwicklungen und Infrastrukturprojekten konkret. Dafür muss die Politik den Rahmen setzen.
Stichwort Regierungsbildung: Wenn die Partei der Ökologie mit der Partei der Wirtschaft in einer Koalition sind – wäre das im Sinne der Nachhaltigkeit?
Absolut. Eine Jamaika-Koalition könnte Wirtschaft und Ökologie versöhnen. Das ist eine Riesenchance für die nachhaltige Finanzwirtschaft.
Der Steuerungskreis des Hub empfiehlt die Aufnahme der nachhaltigen Finanzwirtschaft in die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Welche Wirkung versprechen Sie sich davon?
Mehr Verbindlichkeit und konkrete Ansätze. Deutschland hat sich der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und den Klimazielen von Paris verpflichtet. Doch die Finanzierungslücke, um die Ziele zu erreichen, ist groß, wir brauchen deshalb alle Akteure – Politik, Realwirtschaft und Finanzwirtschaft –, um sie zu schließen. Deutschland erreicht nicht einmal die Klimaziele 2020, deshalb muss nachhaltige Finanzwirtschaft ein klarer Fokus werden.
Kooperiert der Hub denn mit ähnlichen Initiativen? Erst kürzlich haben beispielsweise zehn internationale Finanzzentren ein Programm für eine nachhaltige Finanzwirtschaft gestartet.
Wir sind aufgeschlossen, was das angeht und mit verschiedenen Initiativen im Gespräch.
Von außen hat man oft den Eindruck, nachhaltige Finanzwirtschaft ist angedockt, aber nicht im Kern der Märkte angekommen. Wie sieht denn Ihre Erfahrung aus der Praxis aus?
Ihre Beobachtung ist sicherlich richtig. Aber das gilt für Nachhaltigkeit und Wirtschaft generell. Noch haben wir eine getrennte Nachhaltigkeits- und Finanzberichterstattung. Zudem existieren in der Finanzwirtschaft nachhaltige und normale Produkte nebeneinander. Diese Stränge müssen verbunden werden. Nachhaltigkeit muss im Kern des Finanzsystems ankommen.
Gibt es Widerstände in der Finanzbranche?
Auf emotionaler oder gar persönlicher Ebene gibt es keinen Widerstand. Klar gibt es den einen oder anderen, der das Thema belächelt. Oft gibt es noch ein falsches Verständnis zur eigenen Rolle, Verpflichtungen und Zielen. Generell ist die Finanzwirtschaft auf genau messbare Größen angewiesen und da gibt es noch systemische Probleme. Außerdem sind durch die Finanzmarktregulierung der vergangenen Jahre Widersprüchlichkeiten zwischen Regulierung und Nachhaltigkeitszielen gefördert worden.
Zum Beispiel?
Nehmen wir Liquidität. Die Regulierung legt großen Wert auf kurzfristige Realisierung von Vermögensgegenständen. Das führt zu kurzfristigen Anlagen mit geringem Risiko. Nachhaltige Investments brauchen aber oft langfristige, illiquide Anlagen mit einer erhöhten Risikoübernahme, wenn es etwa um Innovationen geht. Oder nehmen Sie Aktien: Sie sind ein sehr teures Anlagegut für Versicherer, weil sie mit besonders viel Eigenkapital unterlegt werden müssen. Das ist Unsinn. Aktien sind für längerfristige Investitionen die beste Wahl. Das wird aber nicht verstanden.
Aber eine Lockerung der Finanzmarktregulierung würde doch nicht sicherstellen, dass Investoren auch in nachhaltige Unternehmen investieren.
Es geht um Folgendes: Aktionäre haben ein Eigentumsrecht und damit die Pflicht, sich auch bei Themen der Nachhaltigkeit in einem Unternehmen einzumischen. Institutionelle Anleger können ganz gezielt über die Vorstände und Aufsichtsräte auf einen Wandel in Unternehmen drängen, etwa um Klimaziele zu erreichen. Wir bei Deka Investment verfolgen diesen Ansatz und engagieren uns aktiv als Anwalt der Anleger. Aber um Einfluss nehmen zu können, muss ich als Aktionär das Unternehmen auch langfristig begleiten.
Wie wichtig sind denn “stranded assets”, um den Rest der Branche zu überzeugen? Also die Idee, dass Anlagen in CO2-intensive Firmen schnell an Wert verlieren werden?
Es ist ein wichtiges Argument. In der Tat besteht die Gefahr, dass die Bewertung fossiler Rohstoffreserven und Produktionsmittel in den Bilanzen nicht mehr korrekt sind. Das sind greifbare Risiken, die jeder Investor und Kreditgeber notwendigerweise stärker in den Blick nehmen muss, sonst sind Wertberichtigungen notwendig. Die Frage ist, wie geht man mit den Risiken um?
Wie machen Sie das bei der Deka?
Wir haben einen konstruktiven Ansatz: Innovationen fördern, Wandel begleiten. Wir nutzen unsere Stimmrechte und machen in Investorendialogen klar, dass sich was ändern muss. Natürlich kann die Ultima Ratio sein, sich komplett aus Anlagen zu verabschieden. Wenn Sie in einem Aktienportfolio den CO2-Ausstoß minimieren wollen, dann geht das einfach: Alles, was mit Chemie, Öl und Gas zu tun hat, abstoßen, dafür Technologiewerte kaufen. Damit geben Sie dann aber auch den Dialog mit dem Unternehmen auf und verlieren somit die Chance auf eine Einflussnahme. Damit ist dann auch in der realen Welt kein einziges Gramm CO2 reduziert.
Sie setzen auf eine Art Marsch durch die Institutionen in den Unternehmen?
Das Begleiten ist wichtig. Es kann sonst der Effekt eintreten, dass sich alle von bestimmten Unternehmen komplett verabschieden und damit soziale Probleme entstehen, wenn Arbeitsplätze betroffen sind. Man kann nicht das eine Nachhaltigkeitsziel einem anderen gegenüber bevorzugen. Aber natürlich drängt die Zeit. Wir fordern von jedem Unternehmen eine klare Klimastrategie.
Gibt es bereits einen Risikoaufschlag, also höhere Zinsen, wenn ein Unternehmen bei Nachhaltigkeitsthemen schwach ist? Sind die Modelle schon da?
Da muss noch Arbeit geleistet werden. Studien legen nahe, dass Nachhaltigkeit in der Risikoprämie integriert sein muss. Aber wir können das noch nicht genau quantifizieren. Die Datenverfügbarkeit und die Wissenschaft entwickeln sich jedoch rasant weiter.
Wo stehen wir in dem Prozess hin zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft? Es sieht aus, als ob wir noch ganz am Anfang sind.
Das würde ich so nicht sehen. Aber ja, wir brauchen einen langen Atem, denn wir haben hier eine weitere Evolutionsstufe vor uns. Natürlich drängt die Zeit wegen der Brisanz des Klimawandels. Aber die zehn Thesen des Hub-Steuerungskreises sind nicht einfach nette Visionen. Sie sind konkret und können jederzeit umgesetzt werden.
Finanzmärkte brauchen ewiges Wachstum, eine nachhaltige Wirtschaft weiß um die Grenzen des Wachstums. Ist dieser fundamentale Widerspruch überhaupt jemals aufzulösen?
Ich glaube, der Mensch ist als neugieriges Wesen auf Wachstum ausgelegt. Deshalb widerspreche ich der These. Dass es Grenzen bei einigen Formen des Wachstums gibt, das würde ich unterschreiben. Wir werden beispielsweise nicht mehr über fossile, rohstoffbasierte Produktionsmethoden und Produkte wachsen, sondern durch intellektuelles Kapital und moderne Technologien.