Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist eine Besonderheit, in anderen Ländern gibt es das Gremium nicht. In dieser Legislaturperiode will er sich vor allem bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und dem transatlantischen Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) einmischen. „Wir müssen einfach gut sein und Vorbild werden“, sagt der Vorsitzende des Beirats, Andreas Jung.
Herr Jung, Sie sind Vorsitzender des PBNE, des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestages. Im parlamentarischen Prozess prüfen Sie, ob ein Gesetz, das verabschiedet werden soll, mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vereinbar ist. Welche Änderungen haben Sie bisher bewirkt?
Andreas Jung: Die Vorgabe ist eindeutig: In jedem Gesetz muss es einen Passus dazu geben, wie das Vorhaben mit der Nachhaltigkeitsstrategie in Einklang steht – welche Auswirkungen also für zukünftige Generationen zu erwarten sind. Als wir vor vier Jahren angefangen haben, dieses systematisch bei Entwürfen zu kontrollieren, gab es aber oft gar keine Aussagen. In anderen fanden sich nur ungenügende ein oder zwei Sätze. Da haben wir immer darauf gedrängt nachzubessern und die federführenden Ausschüsse und zuständigen Ministerien aufgefordert, Stellung zu beziehen.
Nennen Sie einen Fall?
In der letzten Legislaturperiode gab es zum Beispiel einen Gesetzentwurf zur Stadtentwicklung. Doch die Frage, wie wirkt sich die Stadtentwicklung auf Flächeninanspruchnahme aus, fehlte. Dabei ist in der Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel verankert, dass am Tag nicht mehr als 30 Hektar Fläche verbaut werden sollen. Derzeit sind wir bei 80 Hektar. Am Ende musste das Bundesbauministerium Stellung beziehen. Das ist zunächst mal eine formale Kontrolle, die wir machen. Dadurch schaffen wir aber Bewusstsein.
Wie wollen Sie Ihre Durchsetzungskraft stärken?
Politisch relevant sind die materiellen Fragen. Als der Gesetzentwurf vorlag haben wir uns ausführlich mit dem nach wie vor zu hohen Flächenverbrauch beschäftigt und auch ein Positionspapier verfasst. Darin haben wir vorgeschlagen, die Grunderwerbssteuer so zu reformieren, dass nicht automatisch die Gemeinde belohnt wird, die Flächen zum Kauf anbietet.
Wie wollen Sie den Flächenverbrauch drosseln?
Die Universität Aachen hat ein Modell ähnlich dem Emissionshandel entwickelt, damit auch diejenigen Gemeinden wirtschaften können, die Flächen schonen. Demnach könnte es Zertifikate geben, die dann zwischen den Gemeinden gehandelt werden. Wir hoffen, in dieser Legislaturperiode Ideen in den politischen Prozess einspeisen zu können, um das 30-Hektar-Ziel zu erreichen.
Was wollen Sie sonst voranbringen?
Wir werden unseren Nachhaltigkeits-Check für Gesetze überprüfen. Dafür haben wir innerhalb des Beirates eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Wir wollen die materielle Prüfung von Gesetzen stärken. Wir werden dies nicht bei jedem Gesetzesvorhaben leisten können, aber besonders wichtige Vorhaben wollen wir herausgreifen, etwa beim Freihandelsabkommen oder bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Klappt bei dieser EEG-Novelle der Spagat zwischen Nachhaltigkeit und dem Ziel der Regierung, dass Strom bezahlbar bleibt?
Wir werden das erst prüfen, wenn jetzt das parlamentarische Verfahren beginnt. Da gibt es eine Reihe von Fragen. Ist die Förderung der Biomasse nachhaltig? Sind die Rabatte für die energieintensiven Unternehmen bei der Ökostromumlage in Ordnung? Ich bin zum Beispiel nicht grundsätzlich dagegen, sie Unternehmen zu gewähren, die im internationalen Wettbewerb stehen. Aber nehmen wir unsere Klimaziele ernst, müssen wir diese Unternehmen noch mehr in die Pflicht nehmen, etwas für die Energieeffizienz zu tun.
Haben heute mehr Gesetze Relevanz für Nachhaltigkeit als vor rund fünf Jahren, als Sie Ihre Arbeit im PBNE aufgenommen haben?
Der Blick der Öffentlichkeit hat sich geschärft, es gibt heute eine größere Sensibilität. Das beste Beispiel ist das Freihandelsabkommen TTIP. Dazu gibt es so viele kritische Fragen, bei Verbänden, bei Bürgern. Darum werden wir uns damit ausführlich beschäftigen. Wir wollen kein Abkommen, das unsere Standards in der Lebensmittelsicherheit oder beim Umweltschutz schwächt. Aber ich halte es grundsätzlich für eine Chance. Also müssen wir schauen, was sich ändern muss, damit wir es umsetzen können.
Nicht nur TTIP ist ein Aufreger. Hermesbürgschaften der Bundesregierung, um Exportgeschäfte abzusichern, sind es auch. Wie beeinflussen Sie diese Debatte?
Der PBNE lehnt es beispielsweise ab, dass Deutschland mit Hermesbürgschaften den Bau von Atomkraftwerken im Ausland unterstützt. Das ist für uns die logische Konsequenz aus der deutschen Energiewende. Wir haben das in der letzten Legislaturperiode genau erörtert.
Sie sind sich immer einig?
Selbstverständlich gibt es Debatten. Aber im Beirat – das ist unser besonderes Merkmal – gibt es nicht die übliche Trennung in Regierung und Opposition. Wir haben uns darauf geeinigt, wann immer es möglich ist, nach dem Konsensprinzip vorzugehen. Geben wir fraktionsübergreifend eine Stellungnahme ab, ist unsere Schlagkraft größer.
Gibt es in anderen Ländern ähnliche Gremien, von denen Deutschland lernen könnte?
Der PBNE ist eine deutsche Besonderheit. Ich kenne übrigens auch kein vergleichbares Gremium in den Landtagen der Bundesländer. Wir müssen einfach gut sein und Vorbild werden.
Kanzlerin Angela Merkel plant jetzt eine Regierungskommission für gutes Leben – was ist der Unterschied zur Nachhaltigkeit?
Wer nachhaltig handelt, lebt auch gut. Eine Konkurrenz sehe ich in der Kommission nicht. Dazu sind die Gremien zur Nachhaltigkeit zu etabliert.
Weiterführende Informationen
Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung – seine Aufgaben
Andreas Jung – der Politiker
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung
Flächeninanspruchnahme – das Positionspapier des PBNE