Die Digitalisierung bringt neue Formen des Arbeitens mit sich. Beim sogenannten Crowdworking lassen Firmen Jobs via Internet irgendwo auf der Welt erledigen. Nationale Arbeitsrechte gelten nicht mehr, Sozialversicherungen gehen leer aus. Die IG Metall nimmt sich nun des Problems an und hat eine Plattform für die Beschäftigten ins Netz gestellt. Vorstandsmitglied Vanessa Barth kümmert sich um digitale Arbeitswelten und erklärt im Interview ein kaum erfasstes Phänomen.
Frau Barth, in bestimmten Fällen kann die Digitalisierung die Arbeitswelt sicherlich nachhaltiger machen, wenn sich Menschen weltweit vernetzen. Ist Crowdworking eine Gefahr für diese Entwicklung?
Vanessa Barth: So wie wir Crowdworking heute erleben, gefährdet es die Entwicklung zu einer nachhaltigeren Arbeitswelt. Die Jobs sind von einem extremen Ungleichgewicht zwischen Auftraggebern und Auftragnehmer und von großer Willkür gekennzeichnet. Crowdworker sind in der Regel völlig schutzlos. Sie bekommen kein Urlaubsgeld, keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sind nicht sozialversichert, auch die nicht, die hauptberuflich auf einer Plattform tätig sind.
„Crowd“ steht für die Masse an Menschen, die weltweit Jobs für Auftraggeber am anderen Ende des Globus am Bildschirm erledigen, vermittelt durch Plattformen im Netz. Wie groß ist das Phänomen denn?
Wir schätzen, es gibt etwa eine Million Crowdworker in Deutschland. Aber die genaue Zahl kennt niemand. Wir sind auf die Angaben der Plattformbetreiber und einzelne Studien angewiesen. Die Plattformen geben zwar an, wie viele Menschen sich registrieren, da sind aber sicher auch eine Menge Datenbankleichen dabei. Bei Mechanical Turk von Amazon arbeiten ungefähr eine halbe Million Menschen. Topcoder vermittelt Programmierer und gibt an, 750.000 Mitglieder zu haben. Die Community von Local Motors, einer Plattform für hoch qualifizierte Tätigkeiten in der Fahrzeugentwicklung, ist nominell rund 48.000 Ingenieure und Entwickler groß, aber nach Angaben von Local Motors leisten nur rund 4.800 Mitglieder wirklich Beiträge für Entwicklungsaufgaben und der Kern derjenigen, die kontinuierlich intensiv mitarbeiten, beträgt etwa 4.800. Aber das variiert von Plattform zu Plattform. Viele User melden sich an und verlassen die Plattform auch wieder, wenn sie nicht zurechtkommen.
Wie will die IG Metall als deutsche Gewerkschaft dieses globale Phänomen erfassen?
Faircrowdwork.org ist zweisprachig, Deutsch und Englisch, wir wollen international Crowdworker ansprechen. Natürlich haben wir eine weltweite Vernetzung, vor allem in die USA, wo sich zum Beispiel Arbeiter von Mechanical Turk bereits organisieren. Das machen bisher noch wenige. Aber insgesamt wissen wir noch viel zu wenig über die Crowdworker. Niemand weiß genau, wie viele davon noch einen analogen Job haben und wie viele Vollzeit digital arbeiten.
Ihre Plattform ging Anfang Mai online – wie läuft sie bisher?
Obwohl die Bewerbung der Plattform gerade erst losgeht, gibt es schon erste Bewertungen von Crowdworking-Plattformen, so bekommen wir ein Ranking über die Arbeitsbedingungen dort. Allerdings wechseln Crowdworker selten die Plattform, denn es dauert meistens eine Weile, bis man sich auf einer Plattform zu den guten Jobs hocharbeitet. Wir versuchen nun, einen überbetrieblichen Austausch hinzubekommen – und Transparenz über die zum Teil miserablen Arbeitsbedingungen auf den Plattformen zu schaffen, klassische Gewerkschaftsarbeit, nur im Netz. Einige Plattformbetreiber nehmen jetzt Kontakt mit uns auf. Der Geschäftsführer von Jovoto wirbt mit der guten Bewertung seiner Plattform auf faircrowdwork.org. Da gerät also einiges in Bewegung, und das wurde auch Zeit!
Hat denn ein Crowdworker Chancen, klassische Arbeitnehmerrechte wie bezahlten Urlaub, Mindestlohn oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzufordern?
Nein. Crowdworker sind, rechtlich betrachtet, keine Arbeitnehmer. Außerdem ist der Rechtssitz vieler Plattformen auch gar nicht in Deutschland. Anstatt eines Arbeitsvertrags gelten für Crowdworker die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Plattformen, und die sind vielfach sehr einseitig zugunsten der Plattformen und Auftraggeber ausgestaltet. In den USA ist die Plattform Crowdflower auf die Zahlung von Mindestlohn verklagt worden.
Braucht es ein Crowdworking-Gesetz oder würde eine nationale Regelung ohnehin nichts bringen?
Doch, gute Standards bringen immer etwas. Wir brauchen einen rechtlichen Rahmen für Crowdworker. Im Grunde muss der Arbeitnehmerschutz auf sie ausgeweitet werden. Ein Mindestentgelt für Clickworker wäre auch eine gute Sache. Es ist ja nicht einmal auf allen Plattformen gewährleistet, dass getane Arbeit überhaupt bezahlt wird.
Wie sieht es mit Mitbestimmung aus?
Es gibt de facto keinerlei Mitsprache der Crowdworker. An diese Themen müssen wir unbedingt ran. Die IG Metall will die Arbeitsbedingungen gemeinsam mit Crowdworkern gestalten, deshalb haben wir auch noch nicht auf jede Frage eine Antwort. Und für viele Menschen birgt Crowdworking auch die Chance, überhaupt an ein Einkommen zu gelangen. Zum Beispiel für Arbeitslose oder Menschen, die aus verschiedenen Gründen das Haus nicht verlassen können. Bei Leadgenius, einer Plattform aus den USA, arbeiten angeblich viele Hausfrauen aus Indien. Und bei Local Motors können auch Autofans ohne Diplom an Wettbewerben teilnehmen. Deshalb: Die IG Metall ist für gute Crowdarbeit, nicht gegen Crowdarbeit.
Was kann die Politik unternehmen?
Für die Politik wäre der erste wichtige Schritt, sich einen Überblick über die Größenordnung und Bedeutung des Phänomens zu verschaffen. Und dann geht es um die sozial- und arbeitsrechtliche Gestaltung dieser neuen Form von Arbeit. So wie es momentan läuft, entgehen ja auch dem Staat Krankenversicherungs- und Rentenbeiträge. Mittlerweile gewöhnen sich Tausende junger Menschen mit Apps wie Streetspotr spielerisch daran, umsonst oder für Minibeträge für Unternehmen zu arbeiten, Supermarktregale zu fotografieren oder Automaten zu kontrollieren – ohne jede Absicherung. In so einer Welt will doch niemand leben! Aber viele Menschen und auch viele Politiker haben davon noch gar nichts mitbekommen.
Klingt, als stünden Sie noch ganz am Anfang.
Nein, wir sind schon losgelaufen. Crowdworking ist eine tolle Möglichkeit, Arbeit zu den Menschen zu bringen. Aber der Preis kann nicht sein, dass alles unterlaufen wird, was wir unter Fairness und guter Arbeit verstehen.
Das Interview führte Ingo Arzt.
Weiterführende Informationen
Faircrowdwork, Webseite der IG Metall
We are Dynamo,Webseite für Rechte von Crowdworkern
Crowdworking-Pattformen: