Wölfe haben keinen Platz in den Alpen, heißt es aus der Schweiz. Frank Faß hat dafür kein Verständnis. In seinem Wolfscenter im niedersächsischen Dörverden leben zehn der Tiere, zudem ist er Wolfsbeauftragter des Landkreises Verden. Er glaubt, Menschen können auch in Deutschland mit den hier wieder heimischen Tieren leben – einzelne Probleme wird es trotzdem geben.
Herr Faß, momentan ist Paarungszeit bei den Wölfen. Wie stark wächst die Wolfspopulation in Deutschland?
Frank Faß: Das ist von den Wurfgrößen abhängig, die variieren zwischen zwei und zehn Tieren. Außerdem stellt sich die Frage, ob sich Wolfspaare ohne Nachwuchs erstmals vermehren und wie viele der einjährigen Tiere ihre Eltern verlassen und eigene Rudel gründen. Außerdem erreicht ein Teil der Welpen seinen ersten Geburtstag gar nicht. Wir werden erst im Spätsommer mehr wissen, wenn die Ergebnisse des Monitorings vorliegen.
Werden die Wölfe denn so genau überwacht?
Ja, wir wissen sehr genau, wie viele Welpen geboren werden. Fotofallen sind dabei das wichtigste Utensil. Zurzeit haben wir 25 Rudel in Deutschland, im Schnitt sind es acht bis zehn Tiere.
Kürzlich behauptete die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, der Wolf hätte keinen Platz in den Alpen. Ist das Zusammenleben mit dem Menschen möglich?
Ich frage mich: Geht es wirklich nicht oder werden die Schwierigkeiten herbeigesprochen, um sich vor künftigen Problemen zu drücken? So viele Wölfe haben die Schweizer Alpen ja noch nicht. Es gibt dort erfolgreiche Modelle, wo Herdenschutzhunde und Hirten die Schafe gut vor Wölfen schützen. Aber man kann keine pauschale Antwort geben. An der norddeutschen Küste zum Beispiel heißt es, man könne Wölfe nicht dulden. Dort gibt es viel Deichschäferei, die dem Erhalt der Deiche dient.
Dort kann man nicht jede Weide einzäunen, weil das ungestörte Landschaftsbild für den Tourismus wichtig ist. Trotzdem sage ich, dass wir dem Wolf dort eine Chance geben sollten. Falls es absolut nicht klappt, sind Wölfe an der Nordseeküste eben nicht tolerabel.
Das heißt, man muss Wölfe im Zweifel auch wieder schießen?
Wenn wir Biodiversität ernst nehmen und deshalb auch den Mut haben, das Zusammenleben mit Menschen und Wölfen auszuprobieren, kann das im Umkehrschluss auch bedeuten, dass es an einigen Orten eben nicht klappt. Ab einem bestimmten Abstand zu Deichen könnten Jäger in dem Fall die Erlaubnis erhalten, auch Wölfe zu schießen. Ich muss aber auch klar sagen: Da sind wir noch lange nicht. Momentan ist das Bejagen von Wölfen streng verboten.
Wie arrangiert man sich in Niedersachsen mit den Wölfen?
Wir haben hier drei Rudel, bisher ist noch niemand zu Schaden gekommen, auch die Wildreviere sind nicht leergefressen worden. Für Schäfer können Wölfe aber ein Problem sein, einige Schafe sind bereits gerissen worden. Wir müssen die Schäfer dazu bringen, ihre Herden durch Zäune oder Hunde zu schützen.
Wer zahlt das? Die Schäfer?
Was der Wolf nicht weiß: Mit ihm wird in jedem Bundesland anders umgegangen. In Niedersachsen wird gerade eine Richtlinie überarbeitet, nach der Berufsschäfer einen Zuschuss zur Anschaffung von Herdenschutzhunden bekommen. Aber die laufenden Kosten pro Hund, knapp 1000 Euro im Jahr, trägt der Schäfer selbst. Das kann teuer werden: Ein Freund von mir ist Berufsschäfer, er hat bis zu fünf Hunde im Einsatz. In Sachsen bekommen auch Hobbyschäfer Zuschüsse für Elektrozäune. Andere Bundesländer stellen ähnliche Pläne auf.
Kann es überhaupt Platz geben für die Tiere in dicht besiedelten Gebieten?
Deutschland und andere Staaten haben eine natürliche Sättigungsgrenze. Es gibt eine Hochrechnung über passende Reviere von jeweils 200 Quadratkilometern Fläche in Deutschland. Da kommt man rechnerisch auf circa 450 Wolfsrudel. Ob diese Zahl je erreicht wird, das werden uns die Tiere selbst zeigen.
Wie wichtig sind Wölfe für das Ökosystem?
Ich bin selbst Jäger. Wölfe unterstützen uns bei der Bejagung von Rehen. Wildschweine und Rotwild sind dagegen wesentlich wehrhafter. Dort werden nur alte, kranke und schwache Tiere gerissen. Ich glaube, dass Wölfe solche Tiere viel besser erkennen als wir und so die Fitness der Populationen erhöhen.
Sie haben selbst ein Wolfsgehege. Nähern sich die Tiere den Menschen an wie Hunde?
Wenn Wölfe in Gehegen von anderen Wölfen aufgezogen werden, sind sie dem Menschen gegenüber sehr distanziert. Wir haben in einem zweiten Gehege Grauwölfe, die wir von Hand mit der Flasche aufgezogen haben. Die Tiere sind an den Menschen gewöhnt. Die kommen richtig zur Begrüßung und sagen quasi Hallo. Aber uns ist wichtig, zu sagen, dass Wölfe weder Kuscheltiere noch menschenfressende Bestien sind. Sie sind, was sie sind: Großraubtiere, sogenannte Top-Prädatoren. Ich glaube, ein dauerhaftes Zusammenleben von Menschen und Wölfen ist möglich, wenn die Konflikte offen angesprochen und behoben werden.
Weiterführende Informationen
Webseite des Wolfscenter von Frank Faß
Wolf hat keinen Platz in den Alpen – Artikel in der Luzerner Zeitung
Willkommen Wolf! – NABU-Projekt zum Schutz der Wölfe in Deutschland